Dienstag, 16. Dezember 2014

Buchreview "Nachtsicht" S. Hunter

Stephen Hunter. Vietnam-Veteran Bob Lee Swagger ist mittlerweile 50 und sehnt sich nach einem ruhigen Leben mit seiner Frau und der gemeinsamen kleinen Tochter. Doch dann taucht ein junger Journalist auf und wühlt in der Vergangenheit. Wie kam Bobs Vater Earl als Staatspolizist vor 40 Jahren bei einer Schießerei wirklich ums Leben? Widersprüche zwischen der offiziellen Schilderung der Ereignisse und dem Tagebuch seines Vaters lassen Bob keine Ruhe. Er reist zurück in seine Heimat Arkansas, um die Vorfälle von damals zu rekonstruieren. Und die Operation Black Light nimmt ihren Lauf.

Arkansas 1955. Der Landespolizist Earl Swagger, 45, ist auf dem Weg, um Jimmy Pye einzusammeln, der gerade aus dem Knast entlassen wurde. Er hat ihm einen Job im Sägewerk besorgt und will ihn und dessen etwas zurückgebliebenen Cousin Bub dorthin kutschieren. Doch dann kommt eine andere Sache dazwischen: Ein junges schwarzes Mädchen wird seit Tagen vermisst. Die Sorge der Familie ist so groß, dass man sich sogar an einen weißen Gesetzeshüter wendet, was in dieser Zeit eher ungewöhnlich war. Also kümmert sich Swagger um diesen Fall, anstatt Jimmy abzuholen. Doch dieser wäre eh nicht erschienen. Mit dem Floh im Ohr, dass sein gutes Aussehen ihm in Hollywood zum Durchbruch verhelfen würde, will er sich mit einem Überfall das Startkapital besorgen und dann gen Kalifornien düsen. Der Überfall gelingt, doch aus Arkansas bzw. dem Polk County kommen sie nicht mehr raus. Bei der Festnahme durch Earl Swagger sterben alle drei Beteiligten: der Polizist und die beiden Gauner. Bob Lee Swagger ist zu dem Zeitpunkt neun Jahre alt. Über 40 Jahre später taucht ein Journalist namens Russell Pewtie in Swaggers neuer Heimat Oklahoma auf und will ihn treffen, da er ein Buch schreiben möchte. Er sieht  einige Parallelen zwischen dem Fall von Earl Swagger und einer Aktion bei der Bud Pewtie, Russells Dad, beteiligt war. Dieser hatte als Polizist Lamar Pye und seine Komplizen nach einem brutalen Gefängnisausbruch zur Strecke gebracht, sich danach aber von seiner Familie distanziert. Russell will dies nun in einem Buch aufarbeiten, das sich darum dreht, dass sie Söhne von Verbrechern automatisch ebenfalls brutale Gangster werden, während Polizistensprösslinge sich eher gesetzestreu verhalten. Zu sagen, dass Bob Lee ihm die Tür geweisen hätte, ist noch eine freundliche Formulierung. Aber der Junge gibt nicht auf. Und tatsächlich: Bob wird neugierig, vielleicht auch etwas sentimental, und sieht die Sachen seines Vaters durch. Dabei entdeckt er eine Ungereimtheit - und erklärt sich bereit, mit dem Burschen gemeinsam zu recherchieren. Nachdem sie auf einige Hürden gestoßen sind, finden sie aber erste Spuren, die darauf hindeuten, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Und bringen dadurch Leute auf den Plan, die liebend gerne die Vorgänge von damals im Dunkeln lassen würden. So muss auch der alte Anwalt Sam, der zudem von Alzheimer geplagt wird, ebenso um sein Leben fürchten, wie die beiden Söhne, die auf den Spuren ihrer Väter wandeln.

In den Danksagungen am Ende des Buches erwähnt Stephen Hunter, dass "Nachtsicht" Teil einer Trilogie ist, zu der neben "Shooter" auch "Dirty white boys" gehört, das zum damaligen Zeitpunkt noch nicht übersetzt war (Geschah 2000 und wurde zu "Die Gejagten"). "Nachtsicht" ist eigentlich das mittlere Buch davon, man muss aber "Die Gejagten" nicht zwingend gelesen haben, um ihm folgen zu können, da die wesentlichen Merkmale und Figuren aus "Die Gejagten", die wichtig für "Nachtsicht" sind, erklärt werden. "Die Gejagten", das zwar kein Bob Lee-Roman ist, aber dennoch zum "Swagger-Universum" gehört,  liegt mir zwar von Goldmann vor, aber es ist eh wieder leicht gekürzt und ich warte, dass es bei Festa erscheint. Stephen Hunter lässt in seinem vorliegenden Buch eine Zeit aufleben, in der die Rassentrennung noch alltäglich war, der Rassismus salonfähig und diverse irrige Vorurteile bezüglich von Schwarzen noch tief in den Köpfen der Weißen verankert waren. Auch Earl Swagger ist nicht frei davon, doch das hindert ihn nicht, seinen Job korrekt auszuüben - für jeden, der seine Hilfe braucht. Im Jahr 1955 scheint Polk County nur aus riesigen Haufen Hinterwäldlern und Rassisten zu bestehen, in dem Ausnahmen sofort ins Auge fallen. Dass Swagger den Mord an dem Mädchen aufklären will, ist für viele ein Unding, fast schon Verrat an der weißen Rasse. 40 Jahre später kommt ein Bob Lee Swagger in diese Heimat zurück, der sich nach den Ereignissen in "Shooter" mit seiner Frau nach Oklahoma zurückgezogen hatte und nun mit ihr und der gemeinsamen Tochter abseits des Trubels lebt. Dennoch lässt er sich vom Journalisten Pewtie mit seiner eher absurden Theorie über Väter und Söhne aus seiner Trutzburg locken und fährt mit dem nach Arkansas zurück, zieht sogar in seinen alten Trailer. Erinnerungen werden wach, Unruhe überkommt den sonst so coolen Swagger. Während das Buch sehr lange mit den Ermittlungen beschäftigt ist und anhand des alten Anwaltes Sam nicht nur die Einstellung von Weiß zu Schwarz noch einmal Revie passieren lässt, sondern auch das Drama einer Alzheimererkrankung in Worte kleidet, die betroffen machen können, lässt ich Hunter viel Zeit, bis es zu einer ersten Gewalteruption kommt, die dann knapp aber heftig wird. Swagger macht nun einmal keine Gefangenen. Und mit dem Wissen, dass es tatsächlich ein Geheimnis gibt, das vertuscht werden soll, schleicht sich die Paranoia immer tiefer in die Köpfe der Protagonisten. Das ist auch der Zeitpunkt, wo uns der Autor zeigt, dass Swagger nicht nur der eiskalte Killer ist, sondern dass er immer noch unter den Geschehnissen aus dem Krieg leidet, dass er mittlerweile sogar das Gefühl der Angst verspürt, was ihn fast aus der Bahn wirft. Dennoch lässt er sich nicht vom Ziel abbringen und holt seinen Waffenkoffer, was Stephen Hunter zum Startsignal nimmt, den Leser wieder zu Exkursen in Waffenkunde einzuladen, auch erklärt, was der Originaltitel "Black Light" für eine Bewandtnis hat und nach einem spannenden Kampf in der wilden Natur von Polk County nicht nur Licht in das Dunkel der damaligen Geschehnisse bringt, sondern auch mit der einen oder anderen Überraschung aufzuwarten hat, die man sich so nicht ganz vorstellte. "Nachtsicht" ist nicht ganz so actionreich wie "Shooter", dafür aber ein ordentlich aufgebauter Thriller. Es dauert einige Hundert Seiten, bis es wirklich derartig kracht, wie man es aus dem bei Festa erschienenen Vorgänger kennt. Hin und wieder lässt Hunter sogar etwas Humor aufblitzen, Swagger-Humor, manchmal schwer zu erkennen. Gutes Buch, mit einer sehr bildhaft beschriebenen Vergangenheit in den südlichen Regionen der USA, aber ruhiger als "Shooter". Dennoch immer noch entschieden besser als das, was sonst so von anderen Verlagen als Thriller oder Action auf den Markt geworfen wird.

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