Donnerstag, 24. November 2016

Buchreview "Das Grab in mir" P. Senecal

Patrick Senecal. Étienne, 28 Jahre, Dozent für Literatur, mit einer manischen Besessenheit für blutrünstige Horrorgeschichten, nimmt eines Abends den Anhalter Alex mit. Die beiden verstehen sich gut, doch irgendetwas an Alex ist seltsam. Und dann greift das reale Entsetzen nach Étienne: Beim Zwischenstopp in einer Werkstatt ereignet sich ein brutaler Mord. Als weitere Morde geschehen, wird es immer unheimlicher, denn alle Toten hatten irgendeine Verbindung zu Étienne. Könnte Alex der Mörder sein? Und kann es sein, dass die beiden sich aus der Kindheit kennen? 

Etienne wurde von seiner Frau verlassen und hat sich das sehr zu Herzen genommen. Zudem gehen ihm seine Eltern schwer auf die Nerven, weil sie ihn wieder unter ihre Fittiche nehmen wollen. Schon seit der Zeit als kleiner Junge - wobei er sich an die Zeit vor seinem 9. Geburtstag aufgrund eines Unfalls nicht erinnern kann - waren sie immer um ihn herum, haben alles kontrolliert, was er tat und las. Gerade Bücher, die auch nur den geringsten Anteil an Gewalt oder Mord hatten, fielen der Zensur der Eltern zum Opfer. Nun wagt sich der allein gelassene Etienne wieder aus der Deckung, auch mit genügend Abstand zu den Eltern, und soll nun ausgerechnet Vorlesungen zu "Unheimlicher Literatur" halten. Im Prinzip ohne Vorkenntnisse muss er sich nun in die Thematik einarbeiten. Völlig überraschend bekommt er dazu eines Tages Hilfe von Alex, einem Anhalter, den er mitnimmt. Eine Idee von dem Tramper setzt er bald vor seiner Klasse um und freut sich über die rege Mitarbeit, ist aber auch etwas entsetzt, was Kinder so alles anstellen, nur um Grenzen zu überschreiten. Bald nähern sich Alex und Etienne dem, was man wohl als Beginn einer Freundschaft nennen könnte. Etienne hält immer an, um Alex mitzunehmen, wenn der mal wieder an der Straße den Daumen hebt. Doch nach und nach tauchen Zweifel auf, ob Alex nicht jemand anders ist, als er zu sein vorgibt. Dann geschehen Morde, mehrere Morde. Alle mit Bezug zu Alex und das wiederum stellt einen Bezug zu Etienne her. Nun will der das Rätsel lösen und muss es wohl alleine tun, da sich seine Theorien doch recht willkürlich anhören.

Ein Thriller von einem franko-kanadischen Autor, der sehr wenig mit Horror zu tun hat. Höchstens mit dem, der sich im Kopf der Leser, hervorgerufen durch den Horror in den Gedanken des Protagonisten, abspielt. Dass Etienne Probleme bekommen wird, ahnt man schnell, wenn das Charakterisieren auch seine Eltern mit einbezieht. Der Junge hat keine Erinnerungen an acht Jahre seiner Kindheit, wurde von den Erzeugern immer kontrolliert und von fast allem ferngehalten, das Jugendlichen Spaß machen könnte. Freunde? Nope. Einzelgänger durch Elternzwang. Irgendwann zog man um und nach und nach kamen Kontakte zustande, er fand Freunde, sogar eine Frau. Die hat ihn aber verlassen und sein eben wurde wieder schwermütig. Hilfe von Freunden ließ er irgendwie abprallen. Doch dann kommt Alex (musste jetzt sein, 😄). Mit dem die einschneidenden Veränderungen - die Morde, die Vermutungen, dass man sich schon kennt. Und das wiederum ist der Auftakt zu einem Drama mit dem einen oder anderen blutigen Vorfall, aber kein Buch, das die Freunde des weniger gemächlichen und umso darstischeren Horrors jetzt in Scharen anlocken würde wie die Fliegen. Die Story um Etienne ist subtiler, trauriger, verzweifelter. Doch ab einem gewissen Zeitpunkt in der Handlung kommen dem Leser - in dem Fall mir als Freund von guten UND schlechten Filmen - die ersten Gedanken zu etlichen Filmsequenzen, die ich im Zusammenhang mit dieser Erzählung auch erwähnen würde. Einen Titel zu nennen, verbietet sich hier, denn der Spoiler wäre massiv. Man überlegt sich aber auch, ob man mit dem Protagonisten Mitleid haben sollte, so sehr kommt hier Verdrängung und Verzweiflung zum Tragen. Und so ganz nebenbei wird in der Schulklasse aufgezeigt, wie grausam Kinder wirklich sein können und sich über Tierquälerei oder Auswirkungen auf Mitmenschen keine Gedanken machen. Und Studien zu dem Thema haben schon belegt, dass die schlimmsten der Sorte schon im Kindergarten beginnen, Hierarchien mit sich selbst an der Spitze aufzubauen und andere ausgrenzen und mobben, die nicht ihren Vorstellungen in Aussehen oder Ansichten entsprechen. In diesem Zeitraum ist es noch kindliches Unwissen, doch mit jedem Jahr mehr, wird daraus eine Art böses Spiel, wenn sich die Schar der Anhänger hinter die Rudelführer stellt und sie bejubelt, wenn die mal wieder einen Außenseiter, der ja erst vom Rudel als Außenseiter markiert wurde, fertigmachen. Jetzt ist aus kindlichem Handeln pure Bösartigkeit geworden, die für die Betroffenen schlimme Auswirkungen auf die Zukunft haben kann. Interessiert die egoistische Brut aber gar nicht. Sie sehen, dass man auf die Art weit kommt. Und hier sind wir wieder bei Studien. Die haben belegt, dass der größte Teil der Belegschaft in den Vorstandsetagen und die meisten Weisungsberechtigten starke soziopathische Züge aufweisen. Erlernt im Kindergarten beim quälen anderer Kids. Also ist "Das Grab in mir" sozialkritisch besonders wertvoll. Meine ich. Wer also hier auf Blut und Gedärm, hohen Munitionsverbrauch verzichten kann und darüber hinwegsieht, dass das eine oder andere Handlungsteil irgendwie schon mal da war, der erhält einen flüssig lesbaren, in kurzen Kapitel gefassten Thriller mit dramatischem Anteil. Von mir 7/10.

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