Mittwoch, 10. Januar 2018

Buchreview "Die Erben des Zeus" S. Turow

Scott Turow. Paul und Cass Gianis sind Zwillinge. Paul ist erfolgreicher Anwalt, der seine Wahlkampagne für das Amt des Bürgermeisters vorbereitet. Cass sitzt seit fünfundzwanzig Jahren im Gefängnis, weil er im Jahr 1982 seine Verlobte, Dita Kronon, umgebracht haben soll. Seine Entlassung steht kurz bevor. Nun will Hal Kronon, Bruder des Opfers und aufbrausender Immobilientycoon, einen lang gehegten Verdacht prüfen – nämlich dass Paul nicht minder an der Ermordung seiner Schwester beteiligt war als der Zwilling Cass. Hals Rachefeldzug ist nur der Auftakt zu einem vielschichtigen Verwirrspiel, dessen Dramatik einer griechischen Tragödie gleicht. Denn auf die Protagonisten Paul Gianis und Hal Kronon und ihren Kampf um Wahrheit und Macht fällt der lange Schatten einer Geschichte zweier Einwandererfamilien, in der Hals Vater, Zeus Kronon, die unheilvolle Hauptrolle spielt. 

 John Grisham hat damals eigentlich erst den Boden für die Gerichtsthriller bereitet. Und seine ersten Veröffentlichungen wie "Die Jury" und "Die Firma" konnten ja auch sehr überzeugen. Dochschon danach fing er an, sich langsam auf drehbuchgerechte und für den Konsumenten leicht lesbare Kost zu konzentrieren. Insofern hatten die Erfolge der Bücher als Verfilmungen dem Fan der ersten Werke des Autors einen Bärendienst erwiesen. Der Stil wurde flacher, die Sprache simpler, die Handlung alles andere als auch nur ansatzweise komplex, manches erschien schon sogar eher als Reiseführer oder Restaurantführer (heute arbeitet auch Dan Brown so). Thriller waren die meisten seiner Bücher dann auch nicht mehr oder nur vom veröffentlichenden Verlag mit einer eher irreführenden Inhaltsangabe dazu gemacht. Mittlerweile schreibt John Grisham nicht mehr über Verhandlungen, sondern nur noch einfache Krimis oder Gaunerstücke, nett, aber weit von dem entfernt, was er früher bot. Und mit seinem Erfolg kamen damals viele andere Autoren mit ähnlich gelagerten Themen auf den Markt, der Gerichts- oder Prozessthriller boomte, da sich jeder an den neuen Trend anhängte (was natürlich auch etliche Gurken in die Regale brachte, die allesamt als "der neue Grisham, besser als der Meister" usw. beworben wurde. Löbliche Ausnahmen waren da John T. Lescroart mit seinen Romanen um Dismaz Hardy und Scott Turow mit seinem fiktiven Kindle County bei Chicago. Doch irgendwann lief man neuen Trends nach (Halbwegs spannende - als Puzzlespiele getarnte Reiseführer - Religions- und Wissenschaftsthriller oder den Jugendbuchtrilogien. Dazu die ständigen Serienkiller, Profiler und sonstiger Allerweltskram.) und dem Gerichtsdrama ging in Deutschland ebenso die Puste aus wie den Actionkrachern. Sie werden kaum noch verlegt, wenn sie nicht wie im Falle der Actioner ambitionierte junge Verlager finden wie Steffen Janssen vom Luzifer-Verlag oder Ingrid und Frank Festa vom Festa-Verlag. Eigentlich ist Scott Turow der Letzte der prozessierenden Männer. 
Stilistisch und sprachlich steht er mittlerweile weit über dem ehemaligen Vorbeter Grisham, seine Plots haben Hand und Fuß und sind nicht immer leicht zu durchschauen. Er zwingt dem Leser keine Figuren auf, die dieser als den totalen Sympathieträger empfinden muss, er lässt das den Leser anhand gut gezeichneter Charaktere mit Ecken und Kanten selbst entscheiden. Geschliffene Dialoge, intelligente Irrungen und Wirrungen um zwei Familien mit griechischem Stammbaum, denen der Autor etwas in die Vita des griechischen Selbstwertgefühls und der Vergangenheit schreibt, das isch kein deutscher Autor hätte erlauben dürfen, ohne von den medial Asozialen öffentlich gesteinigt zu werden und vermutlich auch dem neuen Netzhetzgesetz zum Opfer zu fallen. Dazu dann die üblichen Verlautbarer, die liebend gerne andere Menschen ohne Beweise schuldig sprechen wie z. B. im Fall Kachelmann oder bei der derzeitigen #metoo-"Debatte". Die Geschichte Griechenlands und seine Mythologie, seine Begründung der Demokratie, der Sprachschatz - all das kommt in diesem Fall, der verzwickter ist, als es zu Beginn den Anschein hat, aufs Tablet. Da werden gesellschaftliche Probleme des Alltags angepackt wie z. B. die lesbische Beziehung einer der Hauptpersonen oder den Rassismus zwischen Weißen und Schwarzen, die offen gelebte Korruption in hohen Ämtern (heute nicht viel anders, wobei sich in der Hinsicht Europa schon längst den früher verunglimpften Bananenrepubliken angepasst hat), die Emotionen, wenn ein Mensch feststellen muss, dass er für eine geschätzte, geliebte Person nicht gut genug ist, keinen Status hat, der sie zufriedenstellen würde.Wirklich groß wird dieser Roman durch die vielen Nebengeschichten, die oftmals nur wie mininale Alltagsprobleme scheinen, aber dennoch ihre Bedeutung haben und ihre Kraft entwickeln. Schmerzhafte Wahrheiten in einer Thrillertragödie, die sich mit den ganz Großen des Genres locker messen kann. Man nehme sich genug Zeit für das Buch, das für einen leichten Happen zwischendurch völlig ungeeignet ist. Hier wird schweres emotionales und schriftstellerisches Geschütz aufgefahren, auch wenn ein oder zwei Kleinigkeiten gerade bei der Klärung der Umstände zum Ende hin etwas zu sehr an den Haaren herbeigezogen scheinen.Wer also weder Horror noch die reine Action als Lesestoff bevorzugt - hier ist Ihr/Dein Pflichtroman auf rund 430 Seiten.

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