Dienstag, 27. September 2011

Buchreview "Im Wald der stummen Schreie"

Jean-Christophe Grange. Jeanne Korowa, eine erfolgreiche Untersuchungsrichterin in Paris, wird mit ihrem Kollegen François Taine auf eine besonders grausame Mordserie angesetzt: Drei Frauen wurden brutal ausgeweidet, ihre Leichen makaber in Szene gesetzt und Teile ihrer Körper offenbar vom Täter verspeist.
Im Zuge der Ermittlungen stößt Jeanne auf einen besorgten Vater, der von den unverständlichen Taten seines autistischen Sohnes berichtet. Er ahnt, dass dieser zu unglaublichen Verbrechen in der Lage ist. Könnte der junge Mann der Täter sein? Die Suche nach der Wahrheit führt Jeanne bis in den Dschungel Argentiniens. Was sie dort entdeckt, hätte sie sich in ihren schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können.
Jeanne Korowa bekommt einen Fall von Waffenschmuggel auf den Tisch, der sich bald als Politikum entwickelt und den Verdacht weckt, die französische Regierung könnte einen Anschlag in Auftrag gegeben haben. Da ihr Privatleben eher als nicht existent zu bezeichnen ist, mischt sie sich auch noch in einen Fall ein, dem drei Frauen zum Opfer fielen, die zerstückelt und der eindeutig kannibalistische Tendenzen aufzuweisen hat. Aufgrund eines Zufalls (einer illegalen Abhöraktion, die mit keinem der beiden Fälle zu tun hat) stößt sie auf einen Psychiater, der in dem Fall mit den toten Frauen durchaus in der Lage scheint, einen konstruktiven Beitrag zu leisten. Wie wichtig, das ahnt sie zu Beginn gar nicht. Doch als dann die ersten Hinweise und Spuren auftauchen, die möglichweise Beweiskraft haben könnten, kommt es zu einem Brand, dem der eigentlich ermittelnde Richter zum Opfer fällt. Jetzt verbeißt sich Korowa erst recht in den Fall mit dem vermeintlichen Kannibalen, wobei der Waffenhandel mit dem anschließenden Putschversuch eindeutig an den Rand des Geschehens und ihrer Aufmerksamkeit gedrängt wird. Was sich bald zur Tatsache entwickelt. Ihr werden nämlich beide Fälle entzogen,da sie sich unerlaubt in die andere Sache eingemischt hat. Trotzig entscheidet sie sich, ihren angesammelten Urlaub zu nehmen und nach Mittelamerka zu reisen, wo die Spur hinzeigt. Sie findet dort mögliche Zeugen zwar tot vor, aber auch Indiozien, die zu einer Blutbank weisen, die ihre Ware von armen Campesinos bezieht und sie dann teuer an die ständig in einem Krieg aktiven USA zu verkaufen. Doch das rote Gold wird nicht nur den Einheimischen abgezapft. Mobile Trupps ziehen auch durch die hintersten Winkel von Brasilien und Argentinien, wo man den Ärmsten den Lebenssaft schon fast stiehlt, da diese nicht nur wehrlos sind, sondern auch noch an humanitäre Zwecke glauben und den wahren Wert ihres Blutes nicht einmal annähernd kennen. Und eine Lobby, die sie vielleicht vor dem Gesetz vertreten würde, haben sie schon gar nicht. Leichte Beute also. Das Geheimnis im Dschungel aufzudecken, wird keine leichte Aufgabe für Jeanne. Besonders weil der Kannibale auf sie wartet.
Grange schätze ich seit Jahren sehr, da er durch eine Themenwahl zu überzeugen weiß, die sich dem Mainstream erfolgreich entzieht. Auch wenn seine Hauptfigur Jeanne Korowa, Untersuchungsrichterin, mit einer Mischung der depressiven, notgeilen Frau Mitte 30 ohne Freunde, Familie, Vermögen oder gar Kindern daherkommt und dabei auch nicht sonderlich sympathisch wirkt, wendet sich in ihrem Fall bei der Charakterzeichnung doch bald das Blatt. Sie gewinnt mehr und mehr an Profil. Sie hat zwar in ihrem Alter nichts vorzuweisen, verfällt in unregelmäßigen abständen oft in melancholische bis depressive Stimmungen, übersteht den Alltag nur mit einem Sammelsurium an Tabletten und benimmt sich in Liebesdingen eher romantisch-kindisch/lächerlich, schleppt ein Päckchen aus der Vergangenheit mit sich rum (den Tod ihrer Schwester), hat Essgewohnheiten, die selbst eine Magersüchtige erschrecken würden und mischt in zwei Fällen mit, von denen sich der eine als politisch motiviert und der andere als extrem grausam (die Schilderungen der Leichen würden durchaus in einen Horrorthriller passen) entpuppt. Jean-Christophe Grange geht immer wieder auf den Seelenzustand diese zutiefst einsamen Person ein, ohne es in ein ausgedehntes und zähes Psychogramm ausarten zu lassen, währedn er sie ihre Arbeit anfangs mehr schlecht als recht tun lässt. Wie erwähnt sind die Taten des Mörders stellenweise recht krass formuliert und wirken wie Bilder aus bekannten Horrormovies, sind aber trotzdem nicht plakativ zum Selbstzweck platziert, sondern in die Handlung um Autismus und menschliches Erbgut eingeflochten. Auch der Wandel von einer Flic-Story zur düsteren Dschungelatmosphäre in Mittel- und Südamerika mit ihren brutalen Militärjuntas ist glaubwürdig gelungen, aber auch kein Wunder, da der Autor als Journalist diesen Ländern schon seine Aufwartung gemacht hat, und Jeannes Wandel von der verzweifelten Französin zu einer Kämpferin für Gerechtigkeit ist schon fast typisch für Grange. Man denke an die Wandlungsfähigkeit seiner Protagonisten in "Die purpurenen Flüsse" oder "Choral des Todes". Dazu kommen natürlich sein unnachahmlicher Stil, sein Geschick, Spannung zu erzeugen, seine perfekte Recherche, die ihn zu einem der faszinierendsten Autoren auf dem Markt machen. Dass er nebenbei auch noch die französische Regierung, die Korruption und die gesetzeswidrigen Mauscheleien zugunsten der Mächtigen und Reichen anprangert, tut auch seinen Teil bei. Er arbeitet sich in die Fachbereiche, die in seinen Romanen in Haupt-oder gar Nebensträngen (Kunst, Religion, Musik, Geschichte) akribisch ein, vermittelt Informationen, wo man sie nicht unbedingt erwartet und ist allein dadurch den meisten auf dem Büchermarkt überlegen. Auch ein Dan Brown wirkt trotz seiner Erfolge, die sich eh nur auf zwei Bücher beschränken, die wirklich auch teilweise informativ waren, dagegen wie ein Amateur, stilistisch wäre er eh chancenlos. Sogar das allseits bekannte und umtriebige Feueranzünderfaltblatt (kann jetzt jeder interpretieren, wie ihm danach ist) hat angeblich seine Qualitäten erkannt. Da ich aber vermute, dass dort nicht unbedingt Koryphäen sitzen, die vollständige Sätze bilden oder gar verstehen können (von echter und belegbarer Informationsweitergabe ganz zu schweigen), ist das möglichweise auch nur ein Gerücht. Auf jeden Fall ist "Im Wald der stummen Schreie" ein weiterer Beweis der Klasse von J. C. Grange. wer seine bisherigen Bücher mochte, wird auch dieses zu schätzen wissen, obwohl es vielleicht hinter "Die purpurnen Flüsse" etwas zurückbleibt. Verstörend, atmosphärisch dicht, eindrucksvoll, politisch sind nur einige Attribute. Düstere Unterhaltung auf hohem Niveau. Da kann man sich auch gerne mal auf einen intelligenteren Roman einlassen als gewohnt und die eigene Rübe etwas anstrengen, da dieser Autor weiß von was er schreibt - und das 540 Seiten lang.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Harry, hier Sneak.
Also für diese Review tauche ich dann doch noch mal aus der Versenkung auf um dir weiterhin zu versichern, daß wir literarisch zu 95% auf der selben "seitenlänge" schwimmen.
Wenn auch keine einmalig überragenden "Überbomben", um mal den Wortschatz der heutigen Jugend zu gebrauchen, so liefert Grange doch genau wie du gesagt hast konstante Thillerkost auf gehobenem Niveau ab.
Mir hat´s auch gut gefallen und ich kann alle seine Bücher(oh Gott, hab ich wirklich alle gelesen?)empfehlen.
Keep up the good work,Harry!
always watching!
ansonsten wie immer...nennen sie mich SNEAK

Harry hat gesagt…

Danke für das wiederholte Lob. Im nächsten halben Jahr kommen noch einige feine Sachen auf uns zu.

Gruß
Harry