Montag, 13. Juni 2016

Buchreview "Der Tag X"

Philip Kerr. Amerika 1960. Der Profikiller Tom Jefferson wird von der Mafia auf Fidel Castro angesetzt. Doch dann läuft die Sache völlig aus dem Ruder. Jefferson erhält ein Tonband, auf dem zu hören ist, wie sich seine Frau mit John F. Kennedy im Bett vergnügt. Kurz darauf ist sie tot - und Jefferson mit dem Geld der Mafia spurlos verschwunden.

Tom Jefferson ist ein Profi. Sein Geld verdient er damit, Leute zu töten. Ausgebildet von der Armee der USA, ist er heute selbstständig tätig und verdient Unmengen mehr als im Staatsdienst. Ein erster Auftrag, der ihm hier im Buch angetragen wird, führt ihn nach Argentinien, wo er im Auftrag der Israelis einen alten Naziverbrecher zur Strecke bringen soll, der sich hierher geflüchtet hat. Sein Spotter ist bei diesem Job eine Frau, die schon einige Erfahrung in diesem Metier aufweisen kann. Dennoch wird ihr speiübel als der Scharfschütze nach dem ersten Volltreffer sicherheitshalber einen weiteren Schuss ins Ziel setzt, bei welchem dem Opfer Kiefer, Zähne und Blut mit einer derartigen Wucht auseinandergerissen werden, dass sie über die gesamte Vorderseite des Cafes verstreut werden, das das Opfer gerade betreten wollte. Nach den erfolgreichen Schüssen, baut Tom Jefferson in aller Ruhe sein Gewehr auseinander und verlässt mit der Frau seinen Schützenstand, den er in einem leerstehenden Zimmer eines Hotels eingerichtet hatte. Sein Können spricht sich herum und weitere Aufträge warten schon auf ihn. Die Mafia, die mit Sicherheit auch Verbindungen zur CIA hat, bietet ihm eine Menge Geld, um eine Machbarkeitsstudie anzufertigen, wie man Fidel Castro aus dem Weg räumen könnte. So führt ihn sein Weg ins Land, das die Amerikaner zur Jahrhundertwende von den Spaniern befreit hatten und heute noch voller Stolz auf den Sieg von Teddy Roosevelt an San Juan Hill verweisen. Dass Fidel Castro seine Landsleute dann von dem Joch der Amerikaner und deren Verbrecherorganisationen ebenfalls mit hohem Aufwand an Menschenleben befreite, sieht man dann auf US-Seite eher weniger gern. So kundschaftet Jefferson die Umgebung um den Regierungspalast aus, von dem Fidel immer seine ausufernden Reden hält, probiert aus, wie schnell die Sicherheitsleute reagieren, wenn Schüsse fallen und wie flott die Revolutionsarmee vor Ort ist. Bei seiner Rückkehr kann er den Auftraggebern berichten, dass so ein Attentat durchaus machbar ist, wenn die Umstände und vor allem das Geld stimmen. Später, nach einigen Schlucken auf die gute Nachricht, hört man ein Band mit dem wahrscheinlich neuen Präsidenten John F. (Jack) Kennedy, den sein mafiaumtriebiger, irischer Raubolzen von Vater, Joe Kennedy, ins Amt zu hieven gedenkt. J. F. ist ein Charmebolzen, der jeden Wähler zu seinen Gunsten stimmen lassen kann und bei der Gelegenheit auch jede Gattin eines jeden Wählers in seine Koje holt, wenn sie auch nur ansatzweise entsprechendes Aussehen zu bieten hat. Mit einer gewissen Freude hört man sich ein Band an,auf dem Kennedy gerade mit der Monroe zugange ist. Doch dann steht Jefferson auf und verschwindet kommentarlos. Nicht die Monroe hat den künftigen Präsidenten mit eindeutigen Aktivitäten versorgt, sondern Jeffersons Frau Mary. Und der Killer ist spurlos verschwinden. Tage später findet man seine Frau - tot. Ermordet. Und die Mafia, die Castro loswerden wollte, vermisst ihr Geld. Das Honorar, das Jefferson für den Job kriegen sollte, hat er mitgenommen.

Philip Kerr lässt hier wieder alles aufleben, das in den 60-er Jahren Furore machte. Der Kalte Krieg in vollem Gange, der noch nicht Präsident Kennedy küngelt mit der Mafia, um ans Amt zu kommen und verspricht ihnen dann, sie in Ruhe weiter ihren Geschäften nachgehen zu lassen. Man ist auf Seiten der CIA schon gedanklich mit der Schweinebucht beschäftigt, in deren Hölle man jedoch nur Exilkubaner schicken will, weil man da a) keine Amerikaner opfern muss und b) den Russen eine lange Nase ziehen kann, weil ja keine Amis beteiligt waren. All das sind mehr oder weniger bewiesene Behauptungen, die sich im Fall der Kennedys und ihres Umfeldes hartnäckig halten. Dass die nicht so heilig waren, wie man der Welt weismachen will, ist aber durchaus erwiesen. In einer ziemlich anschaulich geschilderten Vergangenheit des Jahres 1960 mit Anmerkungen zu Autos, Büchern, Filmen und Musik sowie Mode und Lebenseinstellung baut Philip Kerr einen von Beginn an spannenden Thriller auf. Anhand der Inhaltsangabe ahnt der geneigte Leser ja schon, welche Richtung das Buch einschlagen wird, aber es ist nun einmal von Philip Kerr - und der hat immer noch etwas an Wendungen für seine Leser in petto. Wertungsneutral schildert der Autor Vorkommnisse, die in der Realität durchaus ihren Platz hätten haben können und durch den einen oder anderen erwähnten Punkt vielleicht sogar hatten. Dieser Thomas Jefferson verschwindet für einige Zeit im Buch von der Bildfläche, man wird eher mit den vergrätzten Mafiosi bekannt gemacht, die einen von ihnen gekauften Polizisten namens Jimmy Nimmo auf die Jagd nach dem betrügerischen Killer ansetzen und auf Ergebnisse warten. Alles Geschilderte passt auch in die schmutzige Welt eines James Ellroy, aber der Stil ist so weit von Ellroy entfernt wie die Sechziger Jahre von der Gegenwart. Dennoch liest sich "Der Tag X" sehr flott, auch ohne überbordende Action abzufeuern, was eh nicht das Ding von Philip Kerr ist. Es wird ein ausgeklügelter Plan entwickelt, der alle inklusive Leser, aber mit Ausnahme der Hauptfigur Jefferson, am Ende überrascht. Obwohl man als Leser ja die wahren Abläufe und Ereignisse kennt (kennen sollte). Für Leute, die gerne einen richtig spannenden Thriller in Händen halten, dabei aber auf ständige Shoot-Outs verzichten wollen/können und die nicht unbedingt Amerika- oder Kennedy-hörig sind, ein wunderbarer Mix aus Fiktion und Tatsachen mit feiner Nadel gestrickt und (fast) perfekt serviert.

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