Dienstag, 6. Mai 2014

Buchreview "Wespennest" L. Child

Lee Child. In einer Bar irgendwo in Nebraska. Jack Reacher bekommt zufällig mit, dass der Dorfarzt einen Notruf entgegennimmt, sich jedoch weigert, der Anruferin zu helfen. Kurzerhand zwingt Reacher ihn dazu, seine Pflicht zu erfüllen - und lernt eine Frau kennen, die nicht zum ersten Mal von ihrem Mann verprügelt wurde. Er stellt den Schläger im örtlichen steakhouse und löst damit eine Lawine aus. Denn der Schläger ist einer der Duncans. Seit Jahren führen sie mit eiserner Faust ein Regime der Einschüchterung und der erpresserischen Ausbeutung ihrer Nachbarn.

Reacher kommt in den Empfangsbereich eines Motels. Durchgefroren und irgendwie angeschlagen und ungelenken Bewegungen setzt er sich an die Bar. Neben ihm ein Mann, der schon einige Drinks intus hat. Der Arzt des Ortes, wie er bei einem Telefonat, einem Notruf, mithört. Da der Arzt a) zu angesäuselt ist und b) absolut kein Interesse hat, die anruferin zu behandeln, schnappt sich Reacher den Mann und fährt ihn zur Patientin. Sie wird behandelt, der Arzt verdrückt sich nach Hause und Reacher krallt sich den Schlägergatten. Und so ne Begegnung mit Reacher endet selten ohne gravierende Schrammen. Leider löst sein Eingreifen eine Kette von Ereignissen aus, die er kaum vorausahnen konnte. Dass die Bewohner dieser einsamen, flachen Felderregion sich unter der Knute der Duncans ducken, war ihm schon schnell klar. Dass da aber noch viel mehr dahintersteckt, fällt ihm erst auf, als plötzlich einige Hitmen aus Las Vegas auftauchen. Die Duncans handeln auch noch mit anderen Dingen als nur ihrem Monopol der Belieferung der Farmen und des Transports des Ernteguts in der Gegend. Und eine dieser Lieferungen aus dem Nebengeschäft hat Verspätung. Kurzerhand wird alles auf den Fremden abgewälzt. Als man selbst mit dem halsstarrigen Typen nicht zurandekommt, schicken die Bosse aus Vegas ihre Leute. Und als wäre das nicht genug, lassen die Duncans ihre "Hunde" los: zehn Highschool-Spacken, die dereinst als vermeintliche Sportskanonen die Mitschüler drangsalierten statt zu lernen und sich nur auf ihre Kraft verließen. Ziel der Typen war natürlich die NFL. Nur waren sie dafür nicht gut genug. Nix gelernt, im Sport versagt, da nimmt man gerne einen Job als Schläger für Gangster.

Lee Child erzählt in seinen Reacher-Romanen eigentlich meist ein klassisches Westernmotiv. Fremder kommt in die Stadt, mischt sich ein, räumt auf und verschwindet wieder. In "Wespennest" oder im Original "Worth dying for" (beide Titel sind absolut passend) variiert er die Handlung etwas. Nicht nur Reacher mischt den Laden auf, sodass die Geschichte zeitweise wie auf zwei Ebenen verläuft. Auf der einen Seite die Duncans, die sich für äußerst raffiniert und clever halten und ihre Schlägertrupps als subtiles Element bezeichnen und auf der anderen die Mobster, die durch ihre Uneinigkeit und stellenweise auch Dämlichkeit durchaus für einen gewissen Funken Humor sorgen.  Als sich das Geschehen aber auf Reacher konzentriert und auch noch das Verschwinden eines achtjährigen Mädchens vor rund 25 Jahren ins Spiel kommt, kennt Reacher keine Gnade. Er geht absolut kompromisslos, extrem gewalttätig und in reiner Selbstjustiz gegen jeden Gegner vor. Die Sportidioten werden derart verkrüppelt, dass sie sich in ihren bald neuen Rollstühlen ruckzuck beim nächsten Seifenkistenrennen anmelden könnten. Und von den Vegas-Fritzen müssen einige lernen, dass es nicht sonderlich gut ist, sich von Reacher entwaffnen zu lassen und dann noch am Leben zu sein. Da hat es schon mehr als den Anschein einer Hinrichtung, wenn Reacher die Typen per Kopfschuss erledigt. In den entscheidenden Momenten agiert die Hauptfigur eiskalt und ohne Emotion, kennt keine Gnade. Die unterdrückten Farmer unterstützen ihn, wo sie können, spielen aber im Endeffekt keine große Rolle. Abwechslungsreich, mit Cliffhangern versehen und durchweg spannend ist "Wespennest" vielleicht der härteste und brutalste Reacher, der nicht nur durch die Witterungsverhältnisse in Nebraska eiskalt wirkt, den Lee Child bisher den Lesern kredenzt hat. Ungewohnt, aber für Anhänger der härteren Gangart natürlich gerade richtig. Mit was die Duncans nun wirklich handeln, bleibt bis kurz vor Schluss im Dunkeln. Auch hier hat Lee Child noch ein extra Spannungsmoment eingeflochten. Übrigens ist "Wespennest" entgegen einigen Ankündigungen keine direkte Fortsetzung von "61 Stunden". Handlungstechnisch haben die Romane nichts mehr miteinander zu tun. Reacher kommt halt auf seinem Weg nach Virginia nun von South Dakota nach Nebraska.

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