Mittwoch, 23. Januar 2019

Buchreview "Das Heim" M. Strandberg

Mats Strandberg. Zum ersten Mal nach zwanzig Jahren kehrt Joel zurück in sein Heimatstadt, um seine demenzkranke Mutter zu pflegen. Nach ihrem Herzinfarkt ist sie nicht mehr dieselbe. Joel bringt sie in einem Pflegeheim unter. Doch ihr Zustand verschlechtert sich dort nur noch. Sie magert ab und spricht plötzlich Geheimnisse aus, die sie gar nicht kennen kann.

Nachdem Joel, selbst nicht geerade auf dem Besten Weg zur Gesundung nach seiner Abhängigkeit, feststellt, dass seine Mutter nur in einem Pflegeheim wirklich gut untergebracht ist, macht er sich auf den Weg und erledigt die Formalitäten. Schon der Weggang aus ihrem Zuhause und die Gewöhnung an die neue Umgebung lassen die Gefühle lospoltern. Glücklicherweise findet die Frau sofort eine andere ältere Dame, die zwar ebenfalls dement ist, aber auch sehr freundlich, mit der sie sich versteht. Während Joel in einer der Pflegerinnen eine alte Freundin erkennt und sich ihr gegenüber nach und nach öffnet und vielleicht auf eine Wiederbelebung der alten Liebe hofft, geht im Hreim alles seinen Gang. Die Beschreibung der Zustände in einem solchen Heim sind sehr gut getroffen. Die üblen Gerüche, die Insassen, die den Betreuern - unabsichtlich - auf die Nerven gehen, die Leiterin des Hauses, die eher ein Finanzverwalter ist und sich nur um die Alten schert, wenn eine neu eingeliefert wird. Jeder Patient bringt Geld. Die alten Leute sind eine Ware, nichts sonst. Überall wird eingespart, Personal kommt aus dem Ausland und versteht die schwedische Sprache kaum, andere sind überfordert und wollen nur ihre Zeit runterreißen und wirklich kümmern tun die "Kunden" niemanden. Bis auf Nina, die Ex von Joel. Bald stellen sie Veränderungen bei den Alten fest. Dunkle flecken, die auf Misshandlung schließen lassen könnten, aber auch nach und nach immer mehr Aussagen über einen Engel, über jemand, der sie holen kommt. Doch wirklich glauben tut den Dementen niemand, die sind entweder mit ihren Schuldgefühlen beschäftigt, weil sie Mutter (in diesem Heim sind nur Frauen) "abgeschoben" und dann vergessen haben oder einfach nur abgestumpft von ihrem stressigen Arbeitsalltag, der auch noch nach Sekunden bemessen wird, wer sich wie lange um welches Bedürfnis einer eingelieferten Person kümmern darf und muss, um rentabel zu bleiben. Persönlich oder einfach nur nett kann da keiner sein. Und die Patienten leiden und können es nicht mitteilen. Sollte jemand dennoch die Leitung auf ein Problem ansprechen, wird er damit beschieden, dass die Kranke hin und wieder derartige Anfälle hat. Wirkt glaubwürdig und als Angehöriger kann man schlecht das Gegenteil beweisen. Das Heim hier hat mehr den Eindruck einer Verwahrstätte bis zum Tod erweckt, denn ein menschenwürdiges Leben mit besonderer Versorgung. In solchen "Verwahrstätten" wird mehr Leid verursacht als gelindert. Betroffen sind die Mitarbeiter, die Patienten und deren Familien. Nachdem schon die Besuche wegen der Gewissesnbisse weniger wurden, will man dann bald auch wegen der Zustände nicht mehr hin und die inneren Dämonen feiern Fiesta. Und bald sind auch die Angehörigen Opfer der umstände. Ohne es zu wollen driften sie in Depressionen oder ähnliches Ungemach ab. Das macht sich dann im Tagwerk bemerkbar und dort muss man funktionieren - oder bekommt Ärger. Mit dem Chef, den anderen Familienmitgliedern, die sich vor der Verantwortung gedrückt haben, aber jetzt das Maul aufreißen. Das Alles beschreibt Mats Strandberg ziemlich feinfühlig, vielleicht auch manchmal etwas holprig, gibt allen Personen und Charakteren Spielraum und baut unterschwellig so nach und nach die andere Bedrohung auf, die sich neben der des Alterns und des Daseins im Heim schon abgezeichnet hat. Wer oder was bedroht die Alten und aus welchem Grund? Mit der Zeit werden die Ausfälligkeiten und die scheinbaren Verletzungen immer schlimmer, es gibt Todesfälle, die von der Leitung natürlich als gegeben hingenommen werden, "weil alte Leute ja nunmal sterben". Doch bald plaudert die Mutter von Joel aus dem Nähkästchen. Dinge, die andere Menschen betreffen, die sie nicht wissen kann. Dinge, die auch Pfleger oder Leitung angehen. Irgendwer oder Irgendetwas treibt hier sein Unwesen und bald nimmt somit auch die Geschichte Fahrt auf, geht etwas weg von den schlimmen Zuständen, die man in den Heimen oft vorfindet oder dem Alkoholismus und auch - kurz angerissenen - Rassimus in Schweden zum gruseligen Horror, der nicht sonderlich blutrünstig daherkommt, dafür aber mit realem Schrecken punktet. Die Auflösung und auch das Ende sind nicht wirklich neu, aber in der Welt der unzähligen Zombie-Romane eine Abwechslung. Als Schwedens Stephen King bezeichnet (In meinen Augen derzeit nicht unbedingt ein Lob) kann Mats Strandberg an dessen besseren Werke durchaus anknüpfen inklusive der Anprangerung sozialer Missstände.9/10.

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