Montag, 20. Juli 2009

Buchreview "1977"

David Peace: Yorkshire, 1977. Polizeisergeant Robert Fraser wird zu einer Sondereinheit abgestellt, die den grausamen Mord an einer Prostituierten aufklären soll. Bald schon werden Parallelen zu anderen Mordfällen aufgedeckt und die ersten verdächtigen festgenommen. Noch bevor ein weiterer Prostituiertenmord die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken versetzt, schaltet sich Jack Whitehead, Starreporter der Evening Post, in die Ermittlungen ein und versucht, auf eigene Faust den "Yorkshire Ripper" zu stellen. Doch Fraser und Whitehead verstricken sich in ein Geflecht aus Intrigen, Korruption und tödlicher Gewalt. Denn die beiden teilen ein Laster, das ihnen zum Verhängnis werden kann: die Huren von Chapeltown.

Nachdem ich mich nun wieder von meinem vergeblichen Versuch, deutsche Thrillerliteratur zu würdigen (positive Ausnahmen sind Andreas Eschbach und Uwe Schomburg), erholt habe, geht es in die zweite Runde der Gewaltorgie aus der Feder von David Peace. Die Inhaltsangabe auf den Klappenseiten bereitet den Leser nicht im mindesten auf das vor, das ihn in der Folge erwartet. Wieder wird der Leser durch die Personenvielfalt gezwungen, der Handlung trotz der kurzen und knackigen Sätze aufmerksam zu folgen, zumal auch alte Bekannte aus 1974 wieder in Erscheinung treten. Ansonsten dreht sichhier alles um Sex, mehr Sex und die verschiedenen Facetten davon. Im Jahr 1977 wird Leeds immer noch so trostlos dargestellt wie 3 Jahre zuvor, wenn nicht sogar noch düsterer, sodass es einen als Leser wahrhaftig graust und erspart bleibt einem hier auch wirklich nichts - Gewalt, Folter, Erniedrigung, Rassismus, Polizeiwillkür, nichts wird ausgelassen. Hier wird eigentlich kein (Kriminal-)Fall präsentiert, sondern der Fall einer Gesellschaft und für den Leser noch zusätzlich anstrengen, da aus der Perspektive von ZWEI Ich-Erzählern (bei etwas Aufmerksamkeit aber doch schnell zu unterschieden) geschildert wird, wie man die Aufdeckung der verotteten Verhältnisse bewerkstelligen möchte oder daran zu scheitern droht. Es ist eine düstere Zeit in England, Aufbruch in neue Bereiche, die Zeit des Punk, des Auflehnens, aber ohne Lösung, ohne Entkommen aus dem Bestehenden (als Beispiel hier immer wieder die 25-Jahr-Feier zum Thronjubiläum). Und so ergeht es auch den beiden Erzählern. Happy-End - NEIN. Klarer Abschluss des Romans oder des Falls - wieder NEIN. Der Leser bleibt mit dem Ende seinen eigenen Gedanken überlassen (wie übrigens im Fall des Protagonisten aus 1974 - Eddie Dunford - , der hier zwar immer wieder erwähnt wird, aber sein Schicksal nicht weiter ausgeführt) und der Wartezeit auf Teil 3 - 1980 - , der demnächst eingekauft wird. Ein Buch weitab von der gewohnten Kost auf den Wühltischen, keine Massenware, sondern weiterhin auf einem Niveau nahe einem James Ellroy. Moral bleibt bei beiden Autoren außen vor, beängstigende Szenarien beherrschen das Bild der Gesellschaft.

Kaltherzige, gnadenlose kost für hartgesottene Thrillerkonsumenten. Düster, beklemmend, spannend wird der Leser mit einem gewalttätigen Szenario konfrontiert (bei dem mich persönlich nur die Tagtraum - oder Albtraumsequenzen in ihrer Häufigkeit etwas angenervt haben), wie es nur wenige Autroen zu Papier zu bringen vermögen. Hier wird so richtig die Sau rausgelassen. If Peace is too hard, you're too weak. David Peace ist ohne Zweifel ein neuer "Großer" in Englands Thrillergemeinde. Leseempfehlung.

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