Mittwoch, 13. August 2008

Buchreview zu "Die Wohlgesinnten"

Jonathan Littell. Die Wohlgesinnten sind die fiktiven Erinnerungen des SS-Offiziers Maximilian Aue, Jahrgang 1913, Sohn eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter, promovierter Jurist und frühes NSDAP-Mitglied.
Es sind die verstörenden Erinnerungen an die Schauplätze des zweiten Weltkrieges und an das Grauen der Verfolgung und Vernichtung der Juden vom Juni 1941 bis April 1945, an die Einsatz- kommandos und Massenhinrichtungen in der Ukraine und im Kaukasus, an den Kessel von Stalingrad, an Auschwitz, das besetzte Paris und das zerstörte Berlin. An seine Begegnungen mit Nazigrößen wie Himmler, Eichmann und Speer.
Es ist ein Bericht über die Naziverbrechen aus der Sicht eines Täters und zu Beginn seiner Aufzeichnungen konfrontiert uns der Ich-Erzähler Aue mit der Aussage "Ich bin wie ihr". Dieser kann der Leser aber nur bedingt folgen. Beschrieben wird das in jungen Jahren inzestuöse Verhältnis zu seiner Schwester, die es aber in den späteren Jugendjahren beendet, was laut seiner Erkenntnis zu einer Homosexualität führte, da keine Frau einem Vergleich mit seiner Schwester hätte standhalten können. Bei der Ausübung eben jener Praktiken in einem Park, wird er von einem Gestapo-Mann aufgetan, der ihn aber nicht verhaftet, sondern "freundlich überredet", der SS beizutreten.
Nach der Eingewöhnungszeit mit Berichten erstellen, die dem Willen der Vorgesetzten und der Führung entsprechen, aber nicht der tatsächlichen Sachlage, wird Aue zu den Kriegsschauplätzen im Osten abgeordnet, um eine effizientere Vernichtungsmaschinerie aufzubauen als dies bisher der Fall ist. Die Opfer in den Lagern sind dafür nur Gegenstand, nicht menschliche Wesen. Er nimmt an Erschießungen, der ausgewählten Bevölkerung teil, welche er damit rechtfertigt, vom Chaos und Blutrausch mitgerissen worden zu sein und auf diese Weise findet er für alles eine Begründung, das ihn zu Massakern an Juden, Zivilbevölkerung oder gegnerischen Soldaten verführt. In seine Augen sind die Juden zwar bemitleidenswerte Menschen, aber da minderwertig, ist eine Vernichtung mit Stumpf und Stiel absolut von Nöten. Zudem müsse man ja seine Befehle hinsichtlich der Quoten an Hinrichtungen erfüllen, damit schlechtere Zahlen im Vergleich mit anderen Orten und Befehlshabern nicht einer Beförderung im Wege stünden, was dazu führte, dass man auch hin und wieder willkürlich Leute aus der Menge aufgreift, um die Zahlen zu erhöhen. Spätestens hier kann der Leser die Aussage "Ich bin wie ihr" nicht mehr nachvollziehen. Hier geht es nicht um jemanden, der weggesehen hat, "nur" ein Mitläufer oder Befehlsempfänger war, sondern um einen von Egoismus getriebenen Täter, der diese Menschen noch nicht einmal hasst, sondern sie nur als Karrieresprungbrett betrachtet, ohne sie als lebende Wesen wahrzunehmen. Und dies alles gekrönt von seinen erklärenden Aussagen, dass er ja nicht zu den Schuldigen zähle, da er für alles seine gerechtfertigten Beweggründe gehabt habe.
Der Leser wird konfrontiert mit der ständigen Vorteilsnahme eines privilegierten, begüterten Elternmörders (was sich bei einem Genesungsurlaub ereignete und mit einem Alkoholblackout verharmlost wird und so keine Schuldgefühle aufkommen lässt), der Stalingrad nur deshalb rechtzeitig mit dem letzten Flug verlassen konnte, weil er schwerer Verwundeten Kameraden den Platz streitig machte, da diese ja sowieso sterben müssten, was er in seiner Überheblichkeit ohne ärztlichen Kenntnisse beurteilt hat. Hauptsache weg von der Front. Nach der Rettung und dem folgenden oben erwähnten Mord erlebt man den Rekonvaleszenten bei einem Leben in Saus und Braus (der es sich aber auch im Einsatzgebiet mit wechselnden Lovern und Saufgelagen mit Offizierskollegen schon hat gutgehen lassen) erst im besetzten Paris und später dann in Berlin bis zum Fall, das den Kontrast zwischen dem Offizier, der ja rein gar nichts für die Gräueltaten konnte und dem normalen Teil der Bevölkerung, die ums Überleben in der zerbombten Stadt kämpfen mussten. Von wegen "Ich bin wie ihr"!!!!!!
Seine sexuellen Eskapanden, die schon zuvor immer wieder während des 1300 Seiten umfassenden Buches geschildert wurden, werden nun richtiggehend ausgewalzt und seinen perversen Phantasien ziemlich viel Raum gegeben. Desweiteren werden - je näher die Niederlage rückt - die Intrigen im Kreise der Mächtigen und Oberbefehlshaber immer weiter entlarvt und seine Beteiligung zur Wahrung seiner Interessen tritt deutlich zu Tage. Zum Zwecke des eigenen Vorteils werden Vorgesetzte oder Auftraggeber mit widersprüchlichen Informationen versorgt, die ihm die Möglichkeit eröffnen sollen, zwecks erschwindelter Reisepapiere Deutschland zu verlassen. Da er seine Papiere in den Wirren der Angriffe auf Berlin verliert, erschlägt die verabscheuungswürdige Hauptfigur Aue den jahrelangen Freund und Offizierskollegen aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit, um sich die Ausreise nach Frankreich zu ermöglichen, wo er zum erfolgreichen Unternehmer mutierte und sich genötigt sah, diesen Bericht zu verfassen.
Diese Buch hat die nationalen Kritiker entzweit. Von epochalem Meisterwerk mit exzellent recherchiertem Material über die damalige Zeit ist genauso die Rede wie von unerträglichem Schund. Ich sehe es einfach als das, was es ist - ein Roman, eine fiktive Geschichte ohne Anspruch auf die alleinige Wahrheit.
Ich gebe nur eine bedingte Leseempfehlung, da das Buch a) gewisse Längen hat und b) für empfindsame Gemüter eher ungeeignet erscheint ob der drastischen Schilderung seiner Obssessionen und der Gräueltaten. Wer sich aber davon distanzieren kann, sollte einen Blick riskieren, aber das Erscheinen des preislich günstigeren Taschenbuchs abwarten. Als Meisterwerk würde ich das Buch aber nicht bezeichnen. Wie gesagt, die Meinungen sind gespalten.

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