Sonntag, 17. März 2013

Buchreview "Homicide"

David Simon. Tatort Baltimore. In der Stadt an der Ostküste der USA geschehen innerhalb eines Jahres 234 Morde - an zwei von drei Tagen wird ein Bürger erstochen, erschossen oder erschlagen. Im Zentrum dieses Hurrikans des Verbrechens steht das Morddezernat unter Leitung von Lieutenant D'Addorio. Eine kleine Bruderschaft, konfrontiert mit dem amerikanischen Albtraum: Donald Worden, ein abgeklärter Ermittler am Ende seiner Karriere; Harry Edgerton, ein schwarzer Detective in einer überwiegend weißen Einheit; Tom Pellegrini, ein ehrgeiziger junger Cop, der frisch in die Mordabteilung gekommen ist und den schwierigsten Fall des Jahres aufklären will - die brutale Vergewaltigung und Ermodrung eines elfjährigen Mädchens.

Baltimore 1988, Morddezernat. Noch mit Fällen aus dem alten Jahr beschäftigt, müssen sich die Detectives schon bald an die Auswirkungen des Neujahrsfestes machen - sind die sechs Toten, die gemeldet wurden, nur Unfälle der Silvesterknallereien oder wurden sie absichtlich getötet? Und so geht es weiter. Ständig werden die gestressten Beamten vor neue Herausforderungen in ihrer Stadt gestellt; Drogenmorde, eine vergewaltigte und ermordete Elfjährige, ein misshandeltes und dann getötetes Baby oder Schießereien im Gangmilieu. Manches sind leicht aufzuklärende Tötungsdelikte innerhalb der Familie, andere verzwickter. Da ist der Tod eines Dealers, der angeblich von Polizisten hinterrücks erschossen wurde, der öffentlichkeitswirksame Fall des elfjährigen Mädchens, der mit besonderer Sorgfalt und unter dem Einsatz aller Kräfte gelöst werden soll, damit die Stadtoberen und die Behörde mit dem Erfolg nicht nur prahlen und ihre eigenen Karrieren vorantreiben können, sondern auch um der Bevölkerung zu beweisen, dass der Mord an einem schwarzen Kind die gleiche Aufmerksamkeit erhält wie der an einem weißen. Verdächtige werden verhört, wieder freigelassen, weil Indizien oder gar Beweise fehlen, die vor Gericht verwertbar sind, andere Fälle angenommen, als sich nach Monaten nichts ergibt, Überstuinden gerissen, bis die Polizeileitung solche untersagt, weil zu teuer für die Stadt. All das bloß bis zum nächsten eingehenden Anruf - und der ist in Baltimore so sicher wie das Amen in der Kirche.

"Homicide" hätte man auch mit "Ein Jahr in der Hölle betiteln" können, wenn man dem journalistischen Recherche Buch von David Simon seinen Glauben gibt. Es ist ein Abgesang auf die amerikansichen Großstädte, die von Drogen und Gewalt sowie Gangstern schon fast in Geiselhaft genommen wurden, ein Abschiedsgruß an Recht und Ordnung, die nur noch bedingt aufrecht erhalten werden können, da ganze Stadtviertel schon längst von den Dealern und der Armut übernommen wurden und die wenigen Polizisten einer Großstadt gegen das ausufernde Verbrechen keine Chance mehr haben. Es ist aber auch die Story von Männern, die an ihren Beruf glauben müssen, die mit Herzblut dahinterstehen, denn sonst hätten sie längst aufgegeben und sich eine einfachere Tätigkeit besorgt. David Simon beschreibt seine Helden des Alltags auführlich, lässt ihren Lebenslauf aufblitzen und bezeugt ihre Schwierigekiten mit der Bürokratie, den Regeln und der Dezernats- sowie Stadtpolitik - und wenn ein Bürgermeister Ambitionen für höhere Weihen entwickelt, stehen die Ermittler erst recht im Fokus, denn es müssen Ergebnisse her, um zu beweisen, dass der Mayor seine Stadt im Griff hat. Statistiken, Verhörprotokolle, akten anlegen und dann immer wieder grausamste Mordfälle, von denen man kaum glaubt, dass dazu tatsächlich ein Mensch fähig sein soll. Eine eindrucksvolle Milieustudie, wie man sie mit dem rauen Cop-Humor und dem Alkoholkonsum hin und wieder auch von Joseph Wambaugh gelesen hat (der zudem keine Rücksicht auf irgendwelche Empfindlichkeiten nahm, da er in Romanform formulierte), die sehr detailliert geschrieben und daher auch nicht wirklich leicht und nebenbei konsumierbar ist. Man hat hier auf über 800 Seiten schließlich keinen simplen Kriminalroman vor sich, sondern einen Einblick in die tatsächliche Arbeit der Mordkommission von Baltimore gegen die sogar Simons "The wire" noch geschönt wirkt und gegen den Serien wie "CSI" oder wie sie alle heißen nur lächerlich sind. Und zudem werden auch noch Themen wie Rassismus und frühere Polizeibrutalität aufgegriffen, die mit der Zeit zwar ausgemerzt wurden (was auch richtig ist), die aber durch die neu entstandenen Regeln hinsichtlich der Polizeiarbeit ebendiese wieder schwieriger machen. Miranda lässt grüßen, windige Anwälte ebenso - und das Nachwort macht einen ganz besonderen Eindruck; leider wirft es aber keinen positiven auf die derzetigen Stukturen in der Polizei, der Politik und des (Gassen-) Journalismus insgesamt. Nüchtern, tragisch und erschütternd. Muss man gelesen haben.

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