Drew Chapman. Garrett Reilly ist ein Mann der Zahlen. Als der Wertpapieranalyst eines
Abends im Computer Finanztransaktionen in Milliardenhöhe beobachtet,
weiß er sofort, dass etwas nicht stimmt. Nur ein paar Stunden später
steht die Agentin Alexis Truffant in Garretts Büro und will ihn für den
geheimdienst rekrutieren. Eher widerwillig lässt sich Garrett darauf ein
und findet schnell heraus, dass China die Wirtschaft der USA durch
gezielte Computermanipulationen zerstören will. Aber die Chinesen wissen
längst von Garrett und wollen ihn mit allen Mitteln ausschalten.
Was
den finanziellen Zugewinn angeht, ist Garrett Reilly der Musterschüler
seiner Firma, aber was seine Interaktion mit menschlichen Wesen
betrifft, ist er schlicht ein Arschloch. Er lässt jeden wissen und
spüren, dass er mit seiner Fähigkeit Muster zu erkennen, seien es nun
Zahlen oder andere, jedem überlegen ist. Auch sonst ist er nicht gerade
ein wahrer Sonnenschein. Die Entdeckung über die Verkäufe von rund 200
Milliarden Dollar in Staatsanleihen der USA durch China gedenkt er durch
Leerverkäufe zwecks Gewinnmaximierung zu nutzen. Scheiß auf die
drohende Staatspleite. Sein Chef rückt ihm den Kopf zurecht und schickt
ihn nach Hause. Während sich Garrett des Abends mit Gleichgesinnten
betankt und überlegt, wen er als nächstes beleidigen kann (er kennt da
keine Unterschiede, ob Freund, Feind oder Fremder, völlig egal), sieht
er eine heiße Braut an der Bar, die mit einem dieser College-Typen
spricht. Er drängt sich dazwischen und hat seine Keilerei. Die Frau aber
ist weg. Am nächsten Tag im Büro erfährt er, dass sein Boss die
Regierung kontaktiert hat und aus dem Riesengeschäft nichts wird. Er
schmollt, macht sich auf den Weg in die Mittagspause außerhalb des Gebäudes, als eine Autobombe explodiert und er gerade noch so gerettet wird. Es ist die Tussi aus der Bar
und sie stellt sich als Alexis Truffant vor, Regierungsagentin. In
Geheimdienstkreisen hat man das Talent des Mannes erkannt und will ihn
rekrutieren. Er geht zwar mit, haut aber bald wieder ab. Er will nichts
mit der Army oder sonstwem aus der Regierung zu tun haben, was daran
liegt, dass sein Bruder vor Jahren in Afghanistan starb. Doch seine
Reise zu seiner Mutter wirkt ernüchternd, ist die doch nie richtig bei
sich, voll mit Drogen - und hält ihn ständig für seinen Bruder. Er kehrt
freiwillig zurück, bekommt ein Team, einen voll ausgestatteten Bunker
mit der gesamten Einrichtung, die er benötigt. Seine Leute sind fast
alle wie er - Einzelgänger, die nicht mit der Regierung anfangen können.
Nur einer - Lieutenant Lefevre - ist Armyangehöriger. Gemeinsam finden
sie heraus, dass hinter einigen Vorfällen (eine dringend benötigte Mine
mit wichtigen Erzen wurde Strohfirmen gekauft und dann gesprengt, in Las
Vegas werden die Immobilienpreise destabilisiert) China steckt. Der
brisanteste ist deren Angriff auf die Kernkraftwerke rund um Detroit.
Strom fällt aus, die Städte gehen in Anarchie und Flammen auf. Was will
China? Den Dollar destabilisieren? Danit würden sie sich ins eigene
Fleisch schneiden, bei dem Schuldenberg, den die Amis bei ihnen haben.
Ist es vielleicht eine Vorbereitung zur Invasion von Taiwan, um die Amis
so zu schwächen, dass sie nicht eingreifen? Jetzt geht es darum, ein
Muster zu erkennen, was hinter der plötzlichen Aktion Chinas steckt. Die
Welt steckt in einem Cyberkrieg, der sich schnell zu einem bewaffneten
Konflikt rund um die Welt ausweiten kann.
Im Klappentext wird
erwähnt, dass die Chinesen bereits von Garrett Reilly wissen. Das ist so
im Buch nirgends zu lesen. Man - hier der Leser - könnte es anhand der
einen oder anderen Handlung vermuten, mehr aber nicht. Ebenso wird
andernorts von chinesischen Kriegsschiffen geschrieben, die auf die USA
zufahren - völliger Quatsch. Die machen rund um Taiwan mobil, das unter
US-Schutz steht. Dieser Protagonist ist ein Unsympath vor dem Herren. Er
ist keiner dieser versoffenen Ermittler, die grantig mit ihrer
Vergangenheit hadern und es an anderen Menschen auslassen, wie sich das
viele Ignoranten gerne einreden wollen, um das Buch madig zu machen.
Reilly ist eine Figur, der es an jeglicher sozialer Kompetenz mangelt,
dem das auch scheißegal ist und der sich liebend gerne gegen Autoritäten
auflehnt. Und nicht nur das. Es ist ihm eine Herzensangelegenheit, sich
so unbeliebt wie möglich zu machen, die Menschen um ihn herum zu
beleidigen, nebenbei zu zocken, zu kiffen und zu saufen und sich dann
Opfer zu suchen, auf die er einprügeln kann. Dabei verlässt er sich auch
darauf, dass ihn keiner wirklich ernsthaft belangen wird, da man sein
Talent ja dringend benötigt. Er weicht eindeutig mit seinen
Eigentümlichkeiten von der Norm der Romanhelden ab. Er will für
niemanden sympathisch sein - und genau das macht ihn für den die
üblichen Kommissare oder grantigen Ermittler, die mit Suff- und
Vergangenheitsproblemen hadern nicht mehr ertragenden Leser eben dann
doch freundlich gesonnen. Im freien und echten Leben würde man so einen
ruckzuck an einem Baum am Dorfeingang aufknüpfen und zur Abschreckung
hängen lassen, bis er verfault ist. Nur diese Alexis Truffant darf
etliche Klischees bedienen von wegen klug und Modelschönheit. Diese
originelle und gut recherchierte Zukunftsvision vom Krieg der neuen Art
bedient sich durchaus auch diverser Actionelemente wie dem Anschlag auf
Reilly oder einer Fahrt durch das von Anarchie beherrschte Detroit.
Alles, selbst die ständigen Recherchen im Netz, das Pläneschmieden, hat
Tempo und Schwung. Man bekommt eine kleine Einsatzübung, bei der Reilly
sein überlegens Denken beweisen soll, die etwas an "Das dreckige
Dutzend" erinnert und manche PC-Schlacht lässt nostalgische Gefühle für
"Wargames" aufkommen. Hier wird zur Landesverteidigung kein einzelner
Mann vom Typ Jack Bauer auf die Menschheit losgelassen. Hier wird mehr
hinter den Kulissen digital gekämpft. Der übliche große
Patriotismusschmonzens wie ihn ein Patrick Robinson oder Tom Clancy in
ihren Werken zelebrierten, wird hier bestenfalls mal punktuell
eingesetzt, wenn auf einem US-Zerstörer der Ensign seinen Gedanken an
einen möglichen Kampf nachhängt und natürlich alles für sein Land
ertragen würde. Ansonsten wird das Thema eher negativ beleuchtet. Nicht
nur, weil Reilly kein Patriot sein will, sondern weil auch die Folter
eigener Bürger eine Rolle spielt, die Ränkespiele der Politiker oder
Militärs sowie Geheimdienste nie zum Wohle des Volkes zu sein scheinen
(Wobei sich Politiker aller Länder mal fragen sollten, ob sie nicht
einen Meineid geschworen haben). Auch das hebt den Thriller aus der
Masse heraus. "Der Analyst" ist als Debüt von Drew Chapman ein absolut
gelungener, komplexer, gut recherchierter Thriller mit einigen
Actionsprenkeln gewürzt, dazu ein bisschen US-Wunschdenken bezüglich den
Zuständen in China, den der Autor zu einem cleveren und raffinierten
Plot zusammengeführt hat. Er hat es geschafft, ein möglicherweise
trockenes Thema des Wirtschafts-, Finanz-und digitalen Thrillers zu
einer sehr flott zu lesenden, absolut spannenden Lektüre zu verweben.
Ganz starkes Buch.
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