Montag, 7. Juli 2014

Buchreview "Der Analyst" D. Chapman

Drew Chapman. Garrett Reilly ist ein Mann der Zahlen. Als der Wertpapieranalyst eines Abends im Computer Finanztransaktionen in Milliardenhöhe beobachtet, weiß er sofort, dass etwas nicht stimmt. Nur ein paar Stunden später steht die Agentin Alexis Truffant in Garretts Büro und will ihn für den geheimdienst rekrutieren. Eher widerwillig lässt sich Garrett darauf ein und findet schnell heraus, dass China die Wirtschaft der USA durch gezielte Computermanipulationen zerstören will. Aber die Chinesen wissen längst von Garrett und wollen ihn mit allen Mitteln ausschalten.

Was den finanziellen Zugewinn angeht, ist Garrett Reilly der Musterschüler seiner Firma, aber was seine Interaktion mit menschlichen Wesen betrifft, ist er schlicht ein Arschloch. Er lässt jeden wissen und spüren, dass er mit seiner Fähigkeit Muster zu erkennen, seien es nun Zahlen oder andere, jedem überlegen ist. Auch sonst ist er nicht gerade ein wahrer Sonnenschein. Die Entdeckung über die Verkäufe von rund 200 Milliarden Dollar in Staatsanleihen der USA durch China gedenkt er durch Leerverkäufe zwecks Gewinnmaximierung zu nutzen. Scheiß auf die drohende Staatspleite. Sein Chef rückt ihm den Kopf zurecht und schickt ihn nach Hause. Während sich Garrett des Abends mit Gleichgesinnten betankt und überlegt, wen er als nächstes beleidigen kann (er kennt da keine Unterschiede, ob Freund, Feind oder Fremder, völlig egal), sieht er eine heiße Braut an der Bar, die mit einem dieser College-Typen spricht. Er drängt sich dazwischen und hat seine Keilerei. Die Frau aber ist weg. Am nächsten Tag im Büro erfährt er, dass sein Boss die Regierung kontaktiert hat und aus dem Riesengeschäft nichts wird. Er schmollt, macht sich auf den Weg in die Mittagspause außerhalb des Gebäudes, als eine Autobombe explodiert und er gerade noch so gerettet wird. Es ist die Tussi aus der Bar und sie stellt sich als Alexis Truffant vor, Regierungsagentin. In Geheimdienstkreisen hat man das Talent des Mannes erkannt und will ihn rekrutieren. Er geht zwar mit, haut aber bald wieder ab. Er will nichts mit der Army oder sonstwem aus der Regierung zu tun haben, was daran liegt, dass sein Bruder vor Jahren in Afghanistan starb. Doch seine Reise zu seiner Mutter wirkt ernüchternd, ist die doch nie richtig bei sich, voll mit Drogen - und hält ihn ständig für seinen Bruder. Er kehrt freiwillig zurück, bekommt ein Team, einen voll ausgestatteten Bunker mit der gesamten Einrichtung, die er benötigt. Seine Leute sind fast alle wie er - Einzelgänger, die nicht mit der Regierung anfangen können. Nur einer - Lieutenant Lefevre - ist Armyangehöriger. Gemeinsam finden sie heraus, dass hinter einigen Vorfällen (eine dringend benötigte Mine mit wichtigen Erzen wurde Strohfirmen gekauft und dann gesprengt, in Las Vegas werden die Immobilienpreise destabilisiert) China steckt. Der brisanteste ist deren Angriff auf die Kernkraftwerke rund um Detroit. Strom fällt aus, die Städte gehen in Anarchie und Flammen auf. Was will China? Den Dollar destabilisieren? Danit würden sie sich ins eigene Fleisch schneiden, bei dem Schuldenberg, den die Amis bei ihnen haben. Ist es vielleicht eine Vorbereitung zur Invasion von Taiwan, um die Amis so zu schwächen, dass sie nicht eingreifen? Jetzt geht es darum, ein Muster zu erkennen, was hinter der plötzlichen Aktion Chinas steckt. Die Welt steckt in einem Cyberkrieg, der sich schnell zu einem bewaffneten Konflikt rund um die Welt ausweiten kann.

Im Klappentext wird erwähnt, dass die Chinesen bereits von Garrett Reilly wissen. Das ist so im Buch nirgends zu lesen. Man - hier der Leser - könnte es anhand der einen oder anderen Handlung vermuten, mehr aber nicht. Ebenso wird andernorts von chinesischen Kriegsschiffen geschrieben, die auf die USA zufahren - völliger Quatsch. Die machen rund um Taiwan mobil, das unter US-Schutz steht. Dieser Protagonist ist ein Unsympath vor dem Herren. Er ist keiner dieser versoffenen Ermittler, die grantig mit ihrer Vergangenheit hadern und es an anderen Menschen auslassen, wie sich das viele Ignoranten gerne einreden wollen, um das Buch madig zu machen. Reilly ist eine Figur, der es an jeglicher sozialer Kompetenz mangelt, dem das auch scheißegal ist und der sich liebend gerne gegen Autoritäten auflehnt. Und nicht nur das. Es ist ihm eine Herzensangelegenheit, sich so unbeliebt wie möglich zu machen, die Menschen um ihn herum zu beleidigen, nebenbei zu zocken, zu kiffen und zu saufen und sich dann Opfer zu suchen, auf die er einprügeln kann. Dabei verlässt er sich auch darauf, dass ihn keiner wirklich ernsthaft belangen wird, da man sein Talent ja dringend benötigt. Er weicht eindeutig mit seinen Eigentümlichkeiten von der Norm der Romanhelden ab. Er will für niemanden sympathisch sein - und genau das macht ihn für den die üblichen Kommissare oder grantigen Ermittler, die mit Suff- und Vergangenheitsproblemen hadern nicht mehr ertragenden Leser eben dann doch freundlich gesonnen. Im freien und echten Leben würde man so einen ruckzuck an einem Baum am Dorfeingang aufknüpfen und zur Abschreckung hängen lassen, bis er verfault ist. Nur diese Alexis Truffant darf etliche Klischees bedienen von wegen klug und Modelschönheit. Diese originelle und gut recherchierte Zukunftsvision vom Krieg der neuen Art bedient sich durchaus auch diverser Actionelemente wie dem Anschlag auf Reilly oder einer Fahrt durch das von Anarchie beherrschte Detroit. Alles, selbst die ständigen Recherchen im Netz, das Pläneschmieden, hat Tempo und Schwung. Man bekommt eine kleine Einsatzübung, bei der Reilly sein überlegens Denken beweisen soll, die etwas an "Das dreckige Dutzend" erinnert und manche PC-Schlacht lässt nostalgische Gefühle für "Wargames" aufkommen. Hier wird zur Landesverteidigung kein einzelner Mann vom Typ Jack Bauer auf die Menschheit losgelassen. Hier wird mehr hinter den Kulissen digital gekämpft. Der übliche große Patriotismusschmonzens wie ihn ein Patrick Robinson oder Tom Clancy in ihren Werken zelebrierten, wird hier bestenfalls mal punktuell eingesetzt, wenn auf einem US-Zerstörer der Ensign seinen Gedanken an einen möglichen Kampf nachhängt und natürlich alles für sein Land ertragen würde. Ansonsten wird das Thema eher negativ beleuchtet. Nicht nur, weil Reilly kein Patriot sein will, sondern weil auch die Folter eigener Bürger eine Rolle spielt, die Ränkespiele der Politiker oder Militärs sowie Geheimdienste nie zum Wohle des Volkes zu sein scheinen (Wobei sich Politiker aller Länder mal fragen sollten, ob sie nicht einen Meineid geschworen haben). Auch das hebt den Thriller aus der Masse heraus. "Der Analyst" ist als Debüt von Drew Chapman ein absolut gelungener, komplexer, gut recherchierter Thriller mit einigen Actionsprenkeln gewürzt, dazu ein bisschen US-Wunschdenken bezüglich den Zuständen in China, den der Autor zu einem cleveren und raffinierten Plot zusammengeführt hat. Er hat es geschafft, ein möglicherweise trockenes Thema des Wirtschafts-, Finanz-und digitalen Thrillers zu einer sehr flott zu lesenden, absolut spannenden Lektüre zu verweben. Ganz starkes Buch.

Keine Kommentare: