Donnerstag, 16. Juli 2015

Buchreview "Der Anhalter" L. Child

Lee Child. Jack Reacher bemühte sich, harmlos auszusehen, was ihm mit seiner großen, massigen Gestalt und der gebrochenen Nase nicht leicht fiel. Umso dankbarer war er, als endlich ein Auto hielt, um ihn mitzunehmen. Die Frau und die beiden Männer im Wagen waren offensichtlich Kollegen, zumindest schloss Reacher das aus ihrer einheitlichen Kleidung. Er wusste nichts von ihrer Verwicklung in den Mord, der nicht weit entfernt verübt worden war. Für die Insassen des Wagens war Reacher nur eine Möglichkeit, die Polizei von sich abzulenken. Sie ahnten nicht, wer bei ihnen im Auto saß. Schließlich sah Reacher aus wie ein harmloser Anhalter.

Reacher wurde gerade von seiner Mitfahrgelegenheit, die nun eine andere als die von ihm präferierte Richtung einschlug, abgeladen und stand nun in der Winterkälte, um sich eine weitere für die Reise zu stoppen. Der Verkehr war lausig gering und einige der wenigen fuhren nach einem Blick auf seine große, etwas abgerissene Gestalt, die durch die gebrochene Nase auch nicht vertrauenswürdiger wirkte, dann auch direkt weiter. Irgendwann nach rund neunzig durchgefrorenen Minuten hielt ein Wagen mit drei Insassen an. Eine Frau auf dem Rücksitz, zwei Typen vorne. Reacher stieg hinter bei der Frau zu. Nicht weit entfernt wurde in einem Bunker eine Leiche gefunden. Die Polizei hat zwar einen Zeugen, doch dessen Beschreibung der Täter war eher als vage zu bezeichnen - wie Zeugen halt mal so sind. Das Auto wurde als feuerrot beschrieben, wird aber bald hinter einem Laden abgestellt gefunden. Der Sheriff ruft zur Luftüberwachung in der Hauptstadt Omaha an, um einen Hubschrauber anzufordern. Und das dortige FBI reagiert darauf, in dem sie zusätzlich eine Agentin - Sorenson - schicken, weil der Diensthabende meinte, falls man es wirklichmit Profis zu tun habe, wäre eine übergeordnete Stelle geeigneter, den Fall zu klären. Gemeinsam mit dem Sheriff planen sie die Ermittlungen, die Straßensperren mit der Suche nach zwei Männern in einem Wagen laufen bereits auf Veranlassung der örtlichen Behörden. An einem dieser Kontrollpunkte wird auch Reacher, der mittlerweile das Steuer übernommen hat und sich selbst eingesteht, dass er bestenfalls ein mittelmäßiger Fahrer ist, gestoppt, kann mit seinen Mitfahrern aber passieren. Während er am Steuer sitzt, registriert er alles, was um ihn herum vorgeht. Das Verhalten, die Kleidung, die Gruppendynamik seiner Mitreisenden, die von einer Firma zu sein scheinen und wohl auf einer dieser Team-Building-Veranstaltung gewesen sind. Doch es tauchen auch Ungereimtheiten auf. Unterhaltungen werden kaum geführt und wenn doch, sind sie kurz und knapp. Indes muss sich der Sheriff eingestehen, dass er einige Möglichkeiten außer acht gelassen hat, die der Fibbie-Angehörigen in ihrer unendlichen Weisheit sofort einfielen. Doch schon während sie ihre bisherigen Erkenntnisse zusammenpuzzeln, bleibt auch Sorenson nichts anderes übrig, als anzuerkennen, dass auch sie nicht wirklich den vollen Überblick hat. Das Geschehen ist irgendwie rund, da greift zu wenig ineinander. Als Reacher von der Frau via Morsecode durch Blinzeln weitere Hinweise erhält, ist ihm klar, dass hier nichts so ist, wie er vermutet hat. Der Wagen gehört der Frau, sie hat mit den Kerlen nichts zu tun. Ihm dämmert, dass die Sache faul ist und er nun bald in Aktion treten muss.

"Der Anhalter" ist Buch Nummer 17 aus der Reihe. Nummer 16 - "The Affair" - wurde noch nicht übersetzt. Eine Anfrage beim Verlag wurde sehr zeitnah beantwortet (großes Lob) und auch der Vorgang schlüssig erklärt. Die Bücher 14, 15, 17 und 18 (kommt noch bei uns) haben einen übergeordneten Erzählstrang. Reacher wird jeweils nach einem seiner Abenteuer direkt bei der Weiterreise mit kleinen Anspielungen auf vorangegangene Ereignisse in die nächste Runde geschickt. In der ursprünglichen Veröffentlichungsfolge wurde Band 16 (behandelt den ersten Fall von Reacher direkt nach seinem Abschied von der Army) eingeschoben und hat somit die "Reise" unterbrochen. Dies wollte man in Deutschland vermeiden. "The Affair" wird zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht. Noch ein Pluspunkt für den Verlag, find ich. Eigentlich bleibt Reacher weiterhin Reacher, unterscheidet sich auffällig von der Figur im ersten Film (der mir dennoch gefiel und gerne mit einem zweiten aufwarten darf), aber diesmal menschelt er doch etwas. Er ist müde, durchgefroren und noch ein bisschen fertig von den Ereignissen aus dem letzten Buch. So zieht sich nach der Entdeckung des Mordes, von der Reacher nichts weiß, das Szenario a) mit den Ermittlungsarbeiten der Behörden hin und b) mit Reachers Sinn für Kombination. Hier wird es dann auch stellenweise etwas professoral oder Marke Oberlehrer, wie einmal ein Kenner der Materie und seines Zeichens "King of excellent covers" zu Victor von Tom Wood meinte. Ein Jack Reacher kann das auch. So vergehen rund 130 Seiten, in denen nur beobachtet, kombiniert, mögliche Erkenntnisse zusammengesetzt und gesucht wird. Action bis dahin Fehlanzeige. Keine Keilerei, keine Schießerei, kein Garnichts. Gerede und viele Gedanken, Überlegungen, Einschätzungen. Auch der Reacher-Fan und Rezensent wurde aus Albträumen aufgeschreckt, in denen er wieder Angst davor hatte, von seiner Gattin dazu genötigt zu werden, weitere Folgen der TV-Serie "Outlander" sichten zu müssen, als endlich der Teil mit den Schlussfolgerungen sein Ende fand und Zug in die Geschichte kam. Plötzlich wird alles auf eine höhere Ebene gehoben, CIA, FBI-Spionageabwehr, Außenministerium, alle mischen plötzlich mit. Der Spannungspegel steigt, die Frage wer mit wem warum was getan hat und welches Ziel überhaupt dahintersteckt, wird die zentrale Handlung des Romans - und bald wendet sich das Blatt auch mehrmals. Wer bis dahin durchgehalten hat, mit dem Thrillanteil im zweiten Drittel auch zufrieden war, darf sich nun auch auf Action freuen. Reacher ist wieder der Alte. Schaltet Feinde gnadenlos aus, lässt hin und wieder trockenen Humor aufblitzen und "finalisiert" so manchen der von ihm identifizierten Bösewichter aus dessen unheiligen Dasein. Reacher Showdown ist angesagt! Es kracht endlich. Dass der Autor Brite ist, lässt sich an seiner Namensgebung für manche Figuren ableiten. Bale und Trappatoni. Wer kennt die nicht im Fußballgeschäft. Ab und zu macht sich auch ein altbekanntes Klischee breit wie bei dem Motelbesitzer in Iowa. Mehr Klischee geht nicht. Sagen wir  mal so. Das erste Drittel erfüllt eine Aussage auf der Rückseite des Schutzumschlags recht gut. "Zum Abschalten isr Reacher geeignet....." Der Teil trifft auf den Beginn zu. Ich hab auch abgeschaltet und gehofft, dass es endlich Tempo aufnimmt, es ist ein bisserl philip äh ich meine lahm. Danach wird es besser und kommt bald zu gewohnter Güte. Insgesamt nicht der beste Reacher, aber um Längen besser als viele der Werke, die ich mir sonst schon angetan hab. Hier trifft auch wieder das zu, was ich schon öfter erwähnte. Ob Bücher, Filme, Musik, Gemälde oder am eigenen Arbeitsplatz, man wird immer an seiner Bestleistung gemessen - und da hat Lee Child diesmal etwas Luft nach oben gelassen.

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