Sonntag, 4. Oktober 2015

Buchreview "Anklage" J. Grisham

John Grisham. Als New Yorker Anwältin hat es Samantha Kofer binnen weniger Jahre zu Erfolg gebracht. Mit der Finanzkrise ändert sich alles. Samantha wird gefeuert. Doch für ein Jahr Pro-Bono-Engagement bekommt sie ihren Job zurück. Samantha geht nach Brady, Virginia, einem 2000-Seelen-Ort, der sie vor große Herausforderungen stellt. Denn anders als ihre New Yorker Klienten, denen es um Macht und Geld ging, kämpfen die Einwohner Bradys um ihr Leben. Ein Kampf, den Samantha bald zu ihrem eigenen macht und der sie das Leben kosten könnte.

Samantha Kofer sitzt mit ihren Kollegen in der arbeitgebenden Kanzlei und bibbert wie alle um ihren lukrativen Job, der nach der Bankenpleite auf dem Spiel steht. Das gesamte Szenario zieht einen Rattenschwanz von Pleiten hinter sich her und die gut situierten Kunden springen reihenweise ab, müssen selbst an Sparmaßnahmen denken und so werden keine Anwälte der teureren Art mehr beschäftigt. Und dann ist es soweit: auch Samantha darf ihre Sachen zusammensuchen. Doch bevor sie das Haus unter Geleitschutz verlässt, erhält sie noch ein Angebot: Wenn sie ein Jahr eine Pro Bono-Stelle irgendwo in den Staaten annimmt, also umsonst arbeitet, wird sie krankenversichert bleiben und hat eine Chance auf eine Wiedereinstellung, wenn sich die Lage verbessert hat. Aber zuerst igelt sie sich zu Hause ein und überdenkt ihre Situation. Einige Wochen wird sie sich sicher über Wasser halten können, aber New York ist ein teures Pflaster und die Finanzmittel werden bald aufgebraucht sein. Sie könnte zwar ihre Eltern anzapfen, die durchaus einige Dollar aufzuweisen haben, aber dazu ist sie dann doch zu stolz. Also schreibt sie Bewerbungen an einige Organisationen, deren Adressen sie von der Firma noch mit auf den Weg nach draußen bekam. Mit Grausen muss sie feststellen, dass sie für etliche Firmen noch nicht einmal als unbezahlte Anwältin erwünscht ist. So nimmt sie dann eine Stelle in einem Kaff namens Brady in Virginia an. Tiefstes Hinterland, aber ihre potenzielle Arbeitgeberin erscheint ihr nett, was wohl auf Gegensietigkeit beruht - sie wird eingestellt. Bald muss sie sich mit Problemen auseinandersetzen, die ihr in ihrem bisher behüteten und teuren Leben völlig unbekannt waren. Gewalt in der Ehe, Arbeitslosigkeit und Bergbaukonzerne, die die Landschaft ruinieren und die Arbeiter gnadenlos ausbeuten - ohne Rücksicht auf deren Gesundheit und jedwede Gesetze. So lernt sie auch Donovan kennen, einen Kämpfer für das Gute, der aber auch ohne auch nur zu blinzeln in eigenem Sinne handelt und wider den Wunsch seiner Mandanten den ultimativen Riesenprozess gegen einen dieser Multis anstrebt. Bis er mit seiner Cessna irgendwann etwas zu schnell den Boden erreicht, um diese Begegnung zu überleben. Attentat oder Unfall? Jetzt kommt noch dessen Bruder Jeff ins Spiel - und der hat sich wohl zuvor mit seinem Bruder auf illegalem Weg Geschäftspapiere des Konzerns beschafft, die zweifelsfrei dessen Schuld an der Schändung der Natur, dem Raubbau der Berge, um an die wertvolle Kohle zu kommen und dem gesetzeswidrigen Umgang  mit deren Arbeitern beweisen. Doch der Konzern schläft nicht und schon kurze Zeit später taucht das FBI auf und will alle Unterlagen und Computer der Kanzlei beschlagnahmen. 

Wer sich die Serie "Justified" angesehen hat, kann sich ein Bild von den Umständen machen, die der Tagebau aus der Umwelt macht und wie die Bergbauunternehmen mit ihren Angestellten und der Natur umgehen. Auch David Baldacci hat dieses Umfeld für seinen Thriller "Zero Day" gewählt. John Grisham schickt also nun seinen X-ten Pro Bono-Anwalt auf die Reise, die Welt zu verbessern. Er trennt sorgfältig die Guten und die Bösen voneinander (er schafft es sogar, noch einen gaaaanz bösen Russen in die Handlung zu bauen, denn derart schlimm können doch keine Amerikaner sein) und schon zu Beginn schildert er die demütigende Praxis der Entlassung aus dem Job, wenn man unter Bewachung seinen Schreibtisch räumen muss und aus den "Heiligen Hallen" des Profits geleitet wird - immer unter den ängstlichen Blicken der ehemaligen Kollegen, die es als nächste treffen könnte. Und dann ergab sich für  mich schon das erste Problem: Die Protagonistin Samantha konnte mich so gar nicht für mich einnehmen, erschien mir eher wie eine verwöhnte und elitäre Göre, die sich für den Nabel der Welt hielt und aus allen Wolken fällt, wenn sie Absagen erhält, obwohl sie umsonst arbeiten will. Ihr familiärer Hintergrund mit Familie ohne große Geldsorgen, obwohl Daddy erwischt wurde, wie er so einige Dollars an der Steuer vorbei mogeln wollte und dafür verknackt wurde. Da ist ja schließlich noch Mami, von Papa geschieden, weil der eh nie Zeit hatte (was eigentlich für Muttern auch galt), mit ihrem lukrativen Job in Regierungsnähe. Und meine Einstellung zu der Dame hat sich während des gesamten Buches nicht groß verändert. Und dazu kommt dann noch dieses doch sehr überzogene Gutmensch-Ideal. Es gibt keinerlei Nuancen. Die armen Arbeiter, vom fiesen Konzern zur Sucht und dem Drogenverkauf getrieben, in die Krankheit verabschiedet, entlassen und völlig kritiklos einige Öko-Terroristen auf Arbeiter schießen zu lassen, Unfälle herbeizuführen. Das passt nicht zusammen. Sicher wird die Wirtschaft, werden die Großkonzerne von den jeweiligen Machthabern bevorzugt. Das ist hierzulande nicht anders. Zwischen dem, was öffentlich kommuniziert wird und dem, was sich dann durch die Hintertür einschleicht, liegen Welten. Welten, die das Geld begünstigen. Da braucht sich kein Mensch mehr Illusionen zu machen. Wie es dereinst mal hieß: Wer an Wahlversprechen glaubt, ist selber schuld. Da stehen sie alle zusammen, diese Finanzjongleure und die Politstrategen der Welt. Wie nennt man die noch gleich? War das "Pack"? Man kann Grisham ja nicht vorwerfen, dass er von dem, was er so schreibt, keine Ahnung habe, aber seit einigen Jahren setzt er seinen Kunden mal mehr oder weniger schwache Bücher vor, die man dann als Thriller bezeichnet. Ich weiß nicht, welches Buch Herr Follett gelesen haben will, um den Autor als "besten Thrillerautor unserer Zeit" zu titulieren. Dieses hier wohl eher nicht. Von Spannungselementen eines "Die Firma" ist er jedenfalls weit weg. Es ist eine - wenn auch etwas gelungenere - Zustandsbeschreibung einer Region mit all ihren Problemen und Sorgen. So kümmert sich die kleine Anwaltskanzlei auch um geringfügere Fälle, bei denen John Grisham dann auch ordentlich die Emo-Schiene fährt und die moralische Keule rausholt. Ein Werbeprospekt für Umweltorganisationen? Hat fast den Eindruck. Und die liebe Samantha? Bleibt eher uninteressant und nervig. Der Thrill bleibt auf der Strecke. Die Todesfälle sind Unfälle (oder auch nicht, hier wird nur spekuliert) oder Selbstmorde, die Schüsse gelten Baggern oder Bären und eine wundersame Lösung zum Ende hin lässt das Ganze auch nicht in einem besseren Licht erscheinen. Plötzlich ist das FBI abgezogen und keiner weiß warum. Die vorgebliche Hatz ist beendet, bevor der Leser etwas an Spannung erfahren kann und dann ist man durch einen weiteren Grisham, der zwar schon einige schlechtere Vorgänger hatte, aber auch bessere. Mittelmaß allerorten. John Grisham hat sich eine Stammleserschaft "erschrieben", der derartige Geschichten zur Entspannung oder einen gemütlichen Leseabend nur lieb und teuer sind - und es sei ihnen von Herzen gegönnt. Ich überlass die auch wieder meiner Gattin - sie hat es ja schließlich auch gekauft. Das Ansinnen das Autors mnag ja ehrenwert sein, aber dann soll man das doch bitte nicht als Thriller verkaufen.

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