Samstag, 29. Oktober 2016

Buchreview "Die Toten von Natchez" G. Iles

Greg Iles. Penn Cage, der Bürgermeister von Natchez, Mississippi, und seine Verlobte, die Chefredakteurin Caitlin Masters, sind einem Anschlag entkommen, hinter dem die Doppeladler stecken, eine rassistische Organisation, die seit den sechziger Jahren ihr Unwesen treibt. Aber die Gefahr ist keineswegs beseitigt. Forrest Knox, ausgerechnet der Chef der State Police, ist der wahre Kopf der Doppeladler. Er will verhindern, dass Penn Beweise vorbringt, welche Morde die Doppeladler begangen haben. Doch Penn hat eine Spur, um die Toten zu finden. Sie führt in die Sümpfe des Mississippi River, zu einem geheimnisvollen Ort, an dem ein ganz besonderer Baum steht. 

Nachdem Penn Cage und Caitlin nur knapp dem Tod entronnen sind und dafür ein flammendes Inferno hinterlassen haben, dem auch ein Anführer der Gegner sein Leben beim Versuch die beiden zu töten lassen musste, bleibt ihnen nicht viel Zeit, sich wieder zu sammeln. Tom Cage ist weiterhin auf der Flucht und Penn versucht mit allen Mitteln, seinen Vater, der zudem an Diabetes leidet, zu finden und eine Erklärung für dessen Verwicklung in den Fall zu erhalten. Außerdem wird Tom Cage ja immer noch beschuldigt, der Mörder von Viola zu sein, deren Rückkehr nach Natchez erst diese mörderische Aktivität in der Stadt und bei einigen anderen Verbrechern und Politikern bis nach New Orleans ausgelöst hat. Mit einer zunehmenden Hektik und Verbindungen in die höchsten Kreise versuchen nun die Antagonisten alle aus dem Weg zu räumen, die ihren Plänen gefährlich werden könnten und sie selbst in den Knast bringen würden. Die Doppeladler um Forrest Knox und Snake Knox können es sich nicht leisten, dass man sie mit den Morden an John F. Kennedy, Robert Kennedy und Martin Luther King in Verbindung bringt. Neben den Spuren, die zu den vergangenen Verbrechen an den Politikern führen, gibt es noch den Knochenbaum, in dem Beweise jeglicher Art für rassistische Morde seit beginn der 20. Jahrhunderts liegen sollen, das Jagdgebiet Valhalla, das für die Klientel zugänglich ist, ansonsten aber umzäunt. Dort will Caitlin auch einige Hinweise verfolgen, die sie für ihre Arbeit bei der Zeitung ihres Vaters nutzen kann. Doch was sie findet, sind Tom Cage und tödliche Gefahr. Unterdessen versucht Penn Cage mit dem FBI-Agenten Kaiser einen der Knox' zum Reden zu bringen, um die ganze Sippe aus dem Verkehr zu ziehen. Wobei Penn aber auch sehr viel Augenmerk auf die Sicherheit seines immer noch auf der Flucht befindlichen Vaters legt. Nicht die klügste Vorgehensweise wie sich bald herausstellen wird.

Große Gefühle in den Südstaaten. Familienfehden mit Verschwörungscharakter. Rassismus und Mord, Hinterlist und offenes Aufbegehren. Weitere 1000 Seiten im Süden der USA, wo der Sumpf nicht nur reine Natur ist, sondern auch jener der Korruption und Vorteilnahme durch Würdenträger zum täglichen Leben gehört. Aufgewühlt auch durch ein Szenario, das sich zu den Morden an den Kennedys und King zurückführen lässt und entschieden besser dargeboten wird als in Stephen Kings viel zu ruhigem "Der Anschlag", der sich mit einem Lee Harvey O. befasste, den er dann im Prinzip doch als Einzeltäter in seinem Roman hinstellte. Gewisse Fakten stimmen bei beiden Autoren überein, doch Greg Iles versteht es, die Gegebenheiten geschickter in sein Gesellschaftsportät einzubauen als dies Stephen King gelungen ist. Mit jeder Seite eröffnen sich bei "Die Toten von Natchez" weitere Verwicklungen in eine düstere Vergangenheit, ohne dabei außer Acht zu lassen, dass auch in der Gegenwart (hier 2005, kurz nach Katrina) gierige Bonzen, zumeist weißer Hautfarbe, nicht zu schade sind, die Not nach dem Jahrhundertsturm für ihre Zwecke auszunutzen. Die evakuierten Gebiete, meist von Schwarzen bewohnt, werden wieder aufgebaut - aber nur für gutsituierte Erfolgsmenschen, zu denen auch einige wenige mit schwarzer Hautfarbe gehören. Wie in Amerika üblich, werden solche Aktivitäten nur an heimatliche Firmen vergeben, auch wenn es einen Aufbau im Ausland geben sollte (siehe Irak usw. wo die Profiteure am Ende wieder nur US-Firmen waren/sind, während die Unterstützer lediglich zur Finanzierung herangezogen wurden, seien es nur Briten oder Deutsche.). Und wo Geld fließt, ist das Verbrechen nicht weit - und die Gleichgültigkeit, die in einem Nebensatz so richtig zum Tragen kommt. Etwas, das man sich vielleicht auch hierzulande ob der aktuellen Situation hin und wieder vor Augen halten sollte. Da kommen Menschen, die alles verloren haben, auf Suche nach Hilfe - in dem Fall Natchez. Und die Honoratioren der Stadt haben nichts weiter zu tun, als sich über die Neuankömmlinge zu mokieren und sie als Menschen zweiter Klasse, lästige Katrina-Flüchtlinge, abzuwerten. Nach Greg Iles sind die amerikanischen Südstaaten eine gefährliche Gegend, die noch im vorgestern lebt und sich abseits der Städte nicht weiterentwickelt hat. Alte Ressentiments bestehen weiterhin, die guten und alten Kluxer sind weiterhin aktiv, Schwarze werden immer noch wegen ihrer Hautfarbe verachtet und drangsaliert. So verwundert es nicht, dass das Gesetz hier käuflich ist, Drohungen und Gewalt immer noch Mittel zum Erreichen des Gewünschten sind. Private Jagdgebiete, in denen das Wild unliebsame Zeitgenossen derer sind, die die Macht haben, solche "Happenings" ungeahndet zu veranstalten. Im Sumpf versenkte Leichen, komplexe Zusammenhänge und Erinnerungen an die Amerika-Trilogie von James Ellroy, die zwar nicht auf den Süden der USA beschränkt war, aber thematisch durchaus gerade in Bezuug auf die Kennedy-Morde sehr dicht bei Iles - oder Iles bei Ellroy. Vielschichtig und plausibel portätiert Greg Iles seine erfundene Geschichte, die er mit einigen eigenen Erfahrungen würzen konnte, da er aus Natchez stammt. Ein komplexes Geschehen mit vielen Figuren, das eine Menge Aufmerksamkeit und Zeit erfordert, um allen Handlungssträngen kontinuierlich folgen zu können. Spannungsaufbau kann der Autor wie er schon mehrfach bewiesen hat, bei dem einen oder anderen Protagonisten hat er aber entschieden zu sehr den Egosimus hervorgehoben, sodass gerade bei Caitlin wie schon im vorigen Buch wenige Sympathien erwerben kann. Auch Penn ist nicht ohne Makel, war er aber noch nie in den bisher fünf Romanen um seine Person. Aber warum soll jeder ohne jegliche Charakterschwächen daherkommen? Wichtig ist, dass die Bösen dann viel schlimmer sind. Übrigens hat der Autoir diesmal auf einen Nazi-Vergleich verzichtet. Vehement, ohne Blatt vorm Mund, gehaltvoll, berührend in einem gnadenlosen Umfeld selbstgerechter Rassisten, die sich ihre eigenen Gesetze machen. Dramatischer Südstaatenthriller, der für mich nahezu perfekt ist. Bei über 1000 Seiten fallen kleinere Mängel kaum ins Gewicht. Wer also Zeit, Geduld und Aufmerksamkeit hat, sich auf ein solches Mammutwerk (Teil 1 "Natchez Burning" hatte ja auch schon 1000 Seiten) einzulassen, der wird mit einem richtig guten Buch belohnt. Teil 3 soll übrigens im März 2017 in den USA erscheinen.

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