Sonntag, 26. Juli 2015

Buchreview "Yaccubs Fluch" W. J. White

Wrath James White. Malik ist ein Geldeintreiber und Vollstrecker für die Drogenhändler der Stadt. Er kennt kein Mitleid. Doch als er den Auftrag erhält, eine cracksüchtige Hure und ihr Neugeborenes zu töten, hat er eine unglaubliche Offenbarung: Das Baby ist der wiedergeborene Jesus Christus.
Gefangen in einem Kampf zwischen Gut und Böse, Vernunft und Wahnsinn, Erlösung und Verdammnis, stellt sich Malik gegen seinen Auftraggeber, der Satan selbst sein könnte.


Malik, genannt Span, weil ihm verdammt schnell die Sicherung durchbrennt, ist eigentlich ein normaler kleiner Junge, der aber in ein Umfeld hineingeboren wird, in dem er von Beginn an kämpfen muss. Und das tut er auch. Schon früh muss er sich gegen die Kids im Hood durchsetzen und gewinnt nach und nach an Respekt. Doch den zeigt er auch gegenüber seiner Mutter und der Großmutter. Er geht in die Kirche, besucht die Schule und ist durchaus intelligent. Doch das reicht in seiner Umgebung nicht, ist eher hinderlich. Bald schon erkennt er, dass sich mit Drogen Geld verdienen lässt, dass "Weiße klatschen" in einem Nachbarviertel, das etwas betuchter ist als jenes, in dem er aufwächst, nicht nur Spaß verbreite, sondern er sich dort holen kann, was ihm sonst verwehrt bleibt. Mit seinen Aktionen gewinnt er immer mehr an Respekt. Er fühlt sich wie ein König in seinem Viertel. Dann tauchen Huey und Tank auf und der Gruppenzwang führt zu einer Auseinandersetzung, die Malik zuerst verliert, sich aber dafür gekonnt revanchiert. Dennoch resultiert daraus eine Freundschaft unter den Dreien, die keiner für möglich hielt. Zusammen hängen sie nicht nur ab, sondern übernehmen auch Jobs für die ortsansässigen Dealer, geben vor den Tussen an und saufen und kiffen, was das Zeug hält. Mit der Zeit werden ihre Auftritte härter und brutaler und Malik tut sich hervor, als er einen Möchtegern namens "Meech" eiskalt umlegt. Mit dieser fiesen Nummer kommt er ins Visier von Scratch, einem Weißen, der sich mir unglaublicher Brutalität einen Namen auch unter den Schwarzen der Region gemacht hat. Man respektiert den Mann nicht, man fürchtet ihn. Bald wird Malik so etwas wie die Rechte Hand des Gangsters und soll nach dessen Willen eine Frau und ihr Neugeborenes töten. Doch hier ist für Malik Schluss, das kann er nicht. Und jetzt muss er gegen einen der brutalsten Verbrecher antreten, die er in seinem jungen Leben kennenzulernen gezwungen war.

Der Titel "Yaccubs Fluch" wird im Epilog und später auch während der Handlung erklärt. Diese dreht sich um die Zustände in Schwarzenvierteln in Philadelphia, die er in einem prägnanten und knappen wie auch harten Stil schildert. Wer die Serie "The wire" gesehen hat, stelle sich dies so vor, nur entschieden härter, blutiger und brutaler. Und das Buch enthält einige Teile, die man schon von Wrath James White gelesen hat: "Population Zero", einen kleinen Teil "Der Teratologe" mit Edward Lee oder eben den Rassismus, der alle seine Bücher mehr oder weniger offen durchzieht. Doch er macht es sich mit dem Thema nicht einfach. Je weiter man mit der Lektüre vorankommt, umso mehr diskussionsfähigen Stoff bekommt man geliefert, wie auch zur Religion, bei der sich immer wieder die Frage nach den unterschiedlichen Göttern stellt und dass da eigentlich keiner der wahre Gott sein kann, wenn er solche Dinge überhaupt zulässt - unabhängig der Hautfarbe. Eine Milieustudie, in der auch die möglichen Fehler der Bevölkerung angschnitten werden, sich einfach in ihr Schicksal zu ergeben, anderen die Schuld zuzuschieben und zu duckmäusern. Das Versagen einer Bildungspolitik, die auf der Straße nie ankommt. Selbst wirklich begabte Schüler können mit ihrem klugen Verstand und der erlernten Rhetorik in der heimischen Umgebung nichts anfangen. Doch kein Außenstehender erkennt diese Problematik, oder er will sie nicht erkennen. So belesen der Protagonist auch ist, kann er das Gelernte nie anwenden, wenn er nicht aus seinem Umfeld herauskommt - und das schafft so gut wie keiner. Daher versinken sie im Morast der Drogen, der Gewalt und Brutalität. Und Wrath James White geht die Themen Rassismus und Religion fast schon mit einer gewissen Poesie an, die man ihm anhand der bisherigen Romane in dieser Form wohl nicht zugetraut hätte - ich zumindest nicht. Als Beispiel sei der Dialog mit Yolanda ab Seite 220 genannt. Hier wird nicht nur dem bösen Weißen die Schuld gegeben, hier wird auf eigene Fehler hingewiesen. Später wird dieses Thema noch vertieft. Für all diese Geschehnisse und Wortgefechte ist der Fluch nur der Aufhänger, um eine Geschichte zu erzählen, dass Menschen von ihrer Umgebung derart beeinflusst werden, dass es bald keinen Ausweg mehr gibt, dass sie resignieren ob ihrer eigenen Unzulänglichkeit, sich einfach in ihr Schicksal ergeben und verzweifelt einen Anderen suchen, dem sie die Schuld zuschieben können. Das zieht sich auch durch sämtliche Kulturen und Nationen. Man braucht sich bloß die hiesigen Kommentare anzuschauen, dass die Asylbewerber nur den Deutschen die Jobs wegnehmen würden oder man beachte die Rednecks in den USA, die sich im gleichen Ton über die Illegalen mokieren. Oder das derzeitige Gewäsch von einem der Kandidaten für die Republikaner für die US-Präsidentschaftswahlen. "Yaccubs Fluch" entpuppt sich überraschend als ein intelligentes Drama um die Zustände in Amerika und wenn auf dem Klappentext steht, dass der Autor "etwas" Philosophie und Gesellschaftskritik einfließen lässt, so ist das bei diesem Buch schlicht untertrieben. Und ganz nebenbei muss natürlich auch die Ikone des Blaxploitation-Films, die auch heute noch im Filmgeschäft aktiv ist, Pam Grier ("Coffy", "Sheba Baby" oder "Ghosts of Mars" - letzterer keine Blaxploitation-Film mehr, dafür mit Statham und von John Carpenter), ihre kleine Erwähnung erhalten, die etwas würdevoller ist als jene, die er für Steven Aikido-Moppel Seagal bereithält, denn der bekommt ordentlich sein Fett weg (was er im wahren Leben sicherlich auch gerne vollbringen würde, haha). Und der Autor Iceberg Slim, der Kapitel 15 einleitet, scheint ein echter Held für die entsprechende Klientel zu sein, die sich mit dem Leid und der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung beschäftigt. Dessen Buch "Todesfluch" liegt mir zwar vor - aber ungelesen bisher. "Yaccubs Fluch" ist verflucht intelligent, beeindruckend, begeisternd mit seiner Kritik, die in eine Art brutalem Ghettodrama, das gegen Ende noch einmal richtig heftig wird und mit Sicherheit für Unbehagen sorgt, mehr als nur unterschwellig an den geneigten Leser gebracht wird. Hart wie ein derber Thriller, in dem der übernatürliche und übersinnliche Horroranteil mehr aus den Lebensumständen heraus kommt als mit dem angedeuteten und stellenweise blutig-brutalen Dämon, der sich zwischen das Volk gemischt hat, um mit einem Kontrahenten in stetigen Zweikampf immer dafür zu sorgen, dass die Rassen sich bekriegen. Immer und immer wieder. Von Reinkarnation zu Reinkarnation. Sollte ich bis heute jemals nach einem Buch von Wrath James White gesucht haben, das ich nicht nur als sein bestes sondern auch als meinen Top-Favoriten ansehen kann, hier habe ich es gefunden. Volle Punktzahl mit Extralob (auch an den veröffentlichenden Verlag FESTA!!!!). Eigentlich könnte man über "Yaccubs Fluch" seitenweise Abhandlungen schreiben, derartig viele Themen und Denkanstöße hat der Autor darin eingewoben, aber für hier ist es einfach zuviel des Guten..

Keine Kommentare: