Dienstag, 23. Februar 2010

Buchreview "Befangen"

Scott Turow. "Das ist mein Fall" entfährt es Richter George Mason beinahe unwillkürlich. Der Prozess der Mindy DeBoyer soll neu beurteilt werden - vier Jahre nach einem Blackout auf einer Party hatte das Mädchen erfahren, dass sich mehrere College-Studenten an ihr vergangen hatten, die daraufhin wegen Vergewaltigung verurteilt wurden. Nun legen die Täter Berufung ein, argumentieren, die Verjährungsfrist für ihr Verbrechen sei bereits abgelaufen. Die Frage, welcher Richter am Court of Appeal von Kindle County, Illinois, sich der Sache annimmt, kommt Mason zuvor. Das ist sein Fall. Was ihm jetzt schlaflose Nächte bereitet, geht über die verzwickte Rechtslage im Prozess Mindy DeBoyer weit hinaus. Es ist das hilflose Schweigen, das Patrice und ihn seit der Krebsdiagnose seiner Frau befallen hat. Es ist die unverhohlene Morddrohung, die ein Unbekannter gegen ihn ausspricht. Und es ist die lange verdrängte Erinnerung an ein Mädchen, das vor über 40 Jahren in eine ähnliche Situation wie Mindy geraten war. Zeuge wurde damals der Student George Mason. Oder vielleicht Täter? In den Vereinigten Staaten als Fortsetzungsroman in der bekannten "New York Times" erschienen, bei uns dann als gebundenes Buch für knapp 17 und als Taschenbuch für knapp 9 Euro bei gnädig bemessenen rund 300 Seiten mit großem Zeilenabstand und fetten Rändern auf den Markt geworfen. In meinen Augen Seitenschinderei, sodass ich mir den Kauf zu diesem Preis lange erspart habe. Mittlerweile konnte ich es gebunden bei einer Angebotsaktion günstig erwerben und mich der Story widmen, in der Richter Mason den Aufsehen erregenden Fall der Massenvergewaltigung in der Entscheidung hinsichtlich einer Berufung verhandeln muss und dabei an seine eigene Vergangenheit zu Studienzeiten inklusive sexueller Verfehlungen erinnert wird. Nicht nur die Droh-E-Mails und die Krebserkrankung seiner Gattin machen ihm zu schaffen, da sich die Beratungen mit den beisitzenden Richtern in die Länge ziehen und keine Einigung über das Vorgehen in Sicht ist. Er wird wieder einmal mit den juristischen Winkelzügen und den vielfältigen Facetten des amerikanischen Systems konfrontiert, die die Anwälte der Angeklagten, aber auch die Justizangestellten, die sich einen festen Platz in der neu zu gestaltenden Hierarchie in Kindle County mit allen Mitteln erkämpfen wollen. Viel Beistand gegen die opportunistischen Kollegen oder bei der Entscheidungsfindung erhält er nicht, nur bezüglich der Drohungen und einem Überfall in der Tiefgarage kann er sich einigermaßen auf die Ermittler verlassen, die dann auch einige Verdächtige zu präsentieren wissen. Ganz klar, Scott Turow, dessen bekanntestes Werk "Aus Mangel an Beweisen" (verfilmt mit Harrison Ford) ist, hat schon entschieden bessere Romane abgeliefert. Trotzdem ist ihm auch hier wieder ein intelligenter Justizthriller über die Fragen nach dem Nutzen des Rechtssystems für den Bürger und inwiefern sich die Politik daran macht, die Gerichte zu ihren Gunsten zu beeinflussen bzw. welche Ränkespiele zum Erlangen höchster richterlicher Weihen aufgeführt werden, gelungen. Vielleicht gerade aufgrund seiner Kürze und des Episodencharakters bleibt es durch Cliffhanger, die der Erscheinungsform des Romans geschuldet sind, immer spannend. Gewürzt mit dem Geheimnis um die Drohungen, vergangene Fälle, einem Überfall in der Tiefgarage und keine allzu komplizierten juristischen Formulierungen lässt sich "Befangen" ganz unbefangen lesen und überzeugt einigermaßen. Jedenfalls entschieden mehr als die Grisham-Outputs der letzten Jahre zusammen. Außer der Juristerei stehen noch Schuld, Vergebung, Mitleid und Menschlichkeit im Mittelpunkt der Geschichte, die zwar wahrlich kein großer Wurf geworden ist, aber immer noch unterhaltend. Kann man sich geben, aber nur zu einem günstigen Verkaufspreis, da ich solche überhöhten Preise höchstens für einen neuen Matthew Reilly und eine Shane Schofield-Story bezahlen würde (Hey Matt, wird mal wieder Zeit!!!).

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