Mittwoch, 4. Juni 2014

Buchreview "Todesengel" A. Eschbach

Andreas Eschbach. Ein strahlend weißer Racheengel geht um in der Stadt, der überall dort auftaucht, wo Unschuldige in Gefahr sind, und diejenigen, die ihnen Gewalt antun, brutal bestraft: Ist das wirklich nur die Schutzbehauptung eines alten Mannes, der Selbstjustiz geübt hat? Ein Journalist deckt auf: Es gibt diese Gestalt tatsächlich  - er kann es beweisen. Und damit nimmt das Verhängnis seinen Lauf.

Ein alter Mann sieht in der U-Bahn-Station zwei junge Vollidioten, die mutwillig eine der Sitzbänke zertrümmern. Nach kurzem Zögern spricht er sie darauf an. Fehler!!! Die von den Politikern vielgepredigte Zivilcourage bringt ihn in Lebensgefahr. Die beiden Vollidioten schlagen den Mann zusammen und als er am Boden liegt, treten sie weiter auf ihn ein. Brutal, rücksichtslos. Eine Frau, die auch in die Station wollte, versteckt sich aus Angst schnell hinter einer Ecke. Doch dann taucht eine Lichtgestalt (NEIN, nicht Franz Beckenbauer, der gilt nur für Fußball) auf und erledigt die beiden Schläger mit jeweils einem Schuss in den Hinterkopf. Die Frau ruft die Polizei - aber anonym - und geht dann ihres Weges. Der Staatsanwalt, derzeit voll auf den momentan populären Kuschelkurs bei jugendlichen Straftätern oder gleich Gewohntheitskriminellen eingestellt, versucht, die Sache so zu drehen, dass der alte Mann in reiner Selbstjustiz mit den Deppen abgerechnet hat. Sämtliche vorhandenen Zweifel lässt er wirkungslos an sich abprallen. Und die sensationsgeile Presse wird sofort munter. Natürlich wird dem Opfer die Schuld an dem Vorfall in die Schuhe geschoben von wegen, er habe die Blagen provoziert und die armen Kerle hätten im Leben ja nie eine richtige Chance gehabt. Dass beide eigentlich aus behüteten Verhältnissen kamen, lässt man gerne unter den Tisch fallen. Nur Ingo Praise - freier Reporter für ein Schundblatt mit dazugehörigem TV-Sender - will eine Sendung über die wahren Opfer machen. Nach einigem Zögern stimmt sein Chef zu. Die Quoten rauschen durch die Decke. Man ist sich aber auch für keinen Trick zu schade, um Interviewpartner reinzulegen, zu präsentieren, der Lächerlichkeit preis zu geben oder einfach durch Auslassungen die "Wahrheit" in ihrem Sinne zu manipulieren. Und die Tötung der beiden Angreifer war kein Einzelfall. Die Polizei tappt im Dunkeln, wird zudem noch aktiv von ihren Vorgesetzten behindert, die auch lieber diverse Mängel vertuschen wollen.

Andreas Eschbach greift in gewohnt souveräner Manier wieder eines der großen Themen unserer heutigen Gesellschaft auf: Warum werden denn aus den Opfern alsbald die wahren Täter gemacht, warum werden Typen, die Menschen für ihr gesamtes Leben zeichnen oder gar töten, mit geringeren Strafen bedacht als ein Steuergauner? Schwer zu verstehen, schwer zu erklären und ganz schwer, sich endgültig festzulegen. Macht Andreas Eschbach auch nicht. Sich Gedanken zu dem Thema zu machen, überlässt er gerne dem Leser. Er jubelt niemand seine Meinung unter, zählt im Zusammenhang mit seiner Geschichte nur Fakten auf, die jeder schon in den vielen Berichten über die U-Bahn-Schläger dieser Nation gelesen hat. Der Staat ist pleite, kann die Sicherheit seiner Bürger schon lange nicht mehr gewährleisten, weil aus Kostengründen auch bei den Sicherheitsorganen Sparmaßnahmen die Handlungsfähigkeit lahmlegen. Unterbringung der Straftäter in irgendwelchen Gefängnissen ist ebenfalls viel zu teuer. Also wird alles verharmlost, die Täter mit nem Klaps auf die Dreckgriffel wieder auf die Menschheit losgelassen. Und da man ja rechtlich gesehen einem frechen Balg keine mehr mit auf den Weg geben darf, so als Erziehungsmaßnahme aus elterlicher Sicht, fehlt es den Rotzlöffeln eh meist an Respekt. Beispiel Schule. Die Lehrer sollen die Erziehungsaufgaben von Eltern übernehmen, die entweder überfordert sind oder sich schlicht vor der Verantwortung drücken und sie auf die Schule abwälzen. Aber wenn der Lehrer einem ihrer Bälger die Meinung sagt, stehen sie plötzlich mit der Androhung von Rechtsmitteln vor der Tür. Und die Medien: die drücken lieber auf die Tränendrüse bei den Tätern ob deren Verhältnissen oder der schweren Kindheit, weil sich einer beim Popeln leicht in der Nase gekratzt hat und seitdem derart traumatisiert ist, dass er um sich schlägt. Aus sowas lässt sich leicht ne ganze Doku-Reihe machen. Die Opfer sind da weniger interessant, weil die Leute befürchten, dass man selbst zu so einem Opfer werden kann und solche Sachen nicht sehen wollen. Verkauft sich nicht, also uninteressant. Gerade die Massenmedien wie Billig-Boulevard mit an- oder auch abhängigem TV-Sender schüren diese Stimmungsmache. Und am Ende werden Helfer noch selbst Opfer. Opfer einer Justiz, die Notwehr so schwammig formuliert, dass man jederzeit auch überzogene Gewaltanwendung attestieren kann und der Helfer immer mit einer Anzeige wegen Körperverletzung rechnen muss. Die große Frage: Was ist unter solchen Umständen mit der Zivil-Courage? Würde man da noch helfen? Was tun mit solchen Schlägern? Gesetze verschärfen? Damit kann sich der Leser das ganze Buch über beschäftigen. Die Thrillerhandlung wird da fast zur Nebensache und leider löst sich genau da, wo es spannend werden und sich eine echte Diskussion zum Thema entwickeln könnte, die Sache im Roman in Luft auf. Der Schluss ist leider auch das Schwächste am gesamten Buch. Zeitmangel und auch Platzmangel erforderten hier eine Kurzrezi, wo eigentlich mehr hingehört hätte.

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