Montag, 14. September 2015

Buchreview "Mirage" M. Ruff

Matt Ruff. Das Attentat erschüttert die Vereinigten Arabischen Staaten (VAS) bis ins Mark: Am 9.11.2001 steuern christliche Fundamentalisten zwei Flugzeuge in die Türme des Welthandelszentrums von Bagdad, ein drittes ins arabische Verteidigungsministerium in Riad, während mutige Passagiere das vierte, für Mekka bestimmte in der Wüste zum Absturz bringen. Die wirtschaftliche Supermacht sagt dem Terror daraufhin den Kampf an und besetzt die Ostküste von Amerika – Entwicklungsland und mutmaßliche Heimat der Terroristen. Acht Jahre später neigt sich der Krieg dort seinem Ende zu. Die Terrorgefahr ist allerdings nicht gebannt. Von einem verhafteten Selbstmordattentäter erfahren Mustafa, Samir und Amal, Bundesagenten für Innere Sicherheit, Unglaubliches: In Wahrheit sei Amerika die Großmacht, die arabischen Staaten hingegen rückwärtsgewandte Dritte-Welt-Länder. Die ›New York Times‹ vom 12.9.2001, die beim Attentäter gefunden wird, scheint dies zu bestätigen. Bald entdecken Mustafa und sein Team, dass auch noch andere von dieser vermeintlichen Parallelwelt wissen und vor nichts zurückschrecken, um die Wahrheit darüber zu verschleiern.

9. November 2001. Alles ist ruhig und friedlich in Bagdad, geht seinen gewohnten Gang. Die Bürgermeisterin muss sich in einer Debatte dem Vorwurf der Korruption und Unfähigkeit stellen, da sich im noch nicht beendeten Jahr schon über 400 Mordfälle in der Stadt ereigneten und anscheinend nichts dagegen getan wird. Der Polizist Samir kassiert einen kleinen Alkoholschmuggler ein. Und die Bundesagenten Amal und Rafi beobachten durch das hochgelegenen Fenster eines Flughafentowers eine vorgelagerte Insel mit einem großen Anwesen. Mustafa, derzeit in einige familiäre Probleme verstrickt, stößt mit Verspätung zu seinem Kollegen Samir und dem Festgenommenen. Sie alle sehen von ihrem jeweiligen Standort aus eine tieffliegende Passagiermaschine und werden wenig später von einer Druckwelle von den Beinen gefegt. Das Unfassbare ist geschehen: Christliche Fundmentalisten haben zwei Maschinen in das Welthandelszentrum in Bagdad stürzen lassen. Eine weitere stürzt auf das Verteidigungsministerium, trifft aber nur die Außenbereiche. Ein viertes Passagierflugzeug knallt in eine leere Steppe. Die Verantwortung übernimmt die Welt-Christen-Allianz, eine US-Gruppe weißer Rassisten mit Sitz in den Unabhängigen Territorien der Rocky Mountains. Präsident Bander ruft zum weltweiten Krieg gegen den Terror auf. 2003 beginnt dann die Invasion in den USA. Und die Neuigkeit über weitere geplante Anschläge auf die VAS (Vereinigte Arabische Staaten) machen schnell die Runde. 2009 gelingt es Mustafa einen Selbstmordattentäter, der mit falschem Pass aus den USA eingereist ist, festzunehmen und zu befragen. Was er erfährt, ist ungeheuerlich. Zusammen mit Amal und Samir übernimmt er die weiteren Ermittlungen, auch gegen den Widerstand von Senator Osama Bin Laden und des Kriminellen Saddam Hussein, der sich ein riesiges Verbrecherimperium aufgebaut hat und im Prinzip tun und lassen kann, was er will und wie er will. Bald führt der Weg das Trio nach Amerika. Ein in sich zerrissenes Land, das nach der Invasion von den Truppen der VAS verwaltet wird und Washington zu einer Green Zone ausgerufen hat.

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist jetzt der Böse im ganzen Land? Matt Ruff hat in seinem Buch den Spieß einfach umgedreht und hält den Amerikanern irgendwie schon den Spiegel vor. Wenn sich jemand getraut hätte, das mit Amerika zu machen, was die wie bekannt fabriziert haben, um ihren Krieg gegen den Terror zu rechtfertigen, wären die mit allen Höllenhunden über denjenigen hergefallen. In "Mirage" ist das aber unmöglich, da die USA nicht mehr als ein Dritte-Welt-Land sind, das von religiösen Fanatikern geführt wird. Die derzeit bekannte Geschichte aus einem völlig anderen Blickwinkel. Israel ist nicht in Palästina, sondern im geteilten (christlich und jüdisch) Deutschland mit der Hauptstadt Berlin, Wien wird mal schnell aus jüdischem Selbstschutz heraus bombardiert, weil von dort aus christliche Terroristen Siedlungen in Bayern bombardiert haben, die man im Sechs-Tage-Krieg 1967 besetzt hatte. Palästina selbst existiert in der ursprünglichen Form noch. Und die Popkultur weiß mit Filmen wie "Die Körperfresser kommen" mit Leonard Nimoy und Omar Sharif in den Hauptrollen zu überzeugen. Solche und viele andere Bonmots sorgen bei Leser während dieser Spionagejagd mit kulturellen und politischen Ansichten und Erläuterungen der jeweiligen Überzeugungen oftmals für Schmunzler. Zitat Anfang: Saddam schmunzelte:" Die Amis....ständig bringen sie Fantasie und Wirklichkeit durcheinander." Zitat Ende. Über die menschrechtsfreie Zone Texas über Lyndon B. Johnson, der Amerikas Präsident seit dem Tod von Kennedy war, bis hin zum Golf-von-Mexiko-Krieg wird von Ruff jede Aktion der Amerikaner in diesem Glaubenskampf umgekehrt, aber mit den gleichen Argumenten gerechtfertigt. So auch die Art der Einmischung der USA in Angelegenheiten souveräner Staaten in denen sie nix zu suchen haben. Der Golf-von-Mexiko-Krieg beginnt, weil sich Texas an die VAS gewandt hat, um eine Invasion durch die von Johnson vertretenen Staaten abzuwenden. Bis in die Nebensätze und Randbemerkungen beachtenswert und lohnenswert als da wären ebay ist jetzt ebasar und E-Mail ist E-Post und eine Menge mehr.  In jeder Kleinigkeit kann eine weitere Anspielung auf die wahren Geschehnisse oider Verhältnisse versteckt sein, die der Autor dann ihrem Zweck zuführt. Zudem gibt es auch einige fetzige Actionsequenzen, wenn das Trio um Mustafa, Amal und Samir in den besetzen Gebieten von Amerika ermittelt und immer wieder auf Aufständische und Selbstmordattentäter stößt. In der Heimat hingegen versuchen vershciedene Gruppierungen hinter das Geheimnis der Artefakte (Z.B. eine New York Times vom 12.9.2001, in der von Attentaten auf die Twin Towers tags zuvor berichtet wird) zu kommen und diese für eigenen Zwecke zu nutzen. "Mirage" oder auch Fata Morgana ist eine Spionage-Satire, die durchaus kritisch ist, aber auch eine Menge Spaß macht. Dramatisch und humorvoll. Als kleineren Mangel würde ich die etwas zähe Phase der Charakterisierungen der drei Protagonisten bezeichnen und als größeren die Lösung, die Matt Ruff anbietet. Die ist dann doch ein bisserl vogelwild und an den Haaren herbeigezogen. Tut dem Gesamtspaß aber keinen wirklichen Abbruch. War schon irgendwie seltsam-lustig diese "Geschichtsstunde der anderen Art" mit ernstem Hintergrund.                          

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