Mittwoch, 7. Oktober 2015

Buchreview "Zero" M. Elsberg

Marc Elsberg. London. Bei einer Verfolgungsjagd wird ein Junge erschossen. Sein Tod führt die Journalistin Cynthia Bonsant zu der gefeierten Internetplattform Freemee. Diese sammelt und analysiert Daten – und verspricht dadurch ihren Millionen Nutzern ein besseres Leben und mehr Erfolg. Nur einer warnt vor Freemee und vor der Macht, die der Online-Newcomer einigen wenigen verleihen könnte: ZERO, der meistgesuchte Online-Aktivist der Welt. Als Cynthia anfängt, genauer zu recherchieren, wird sie selbst zur Gejagten. Doch in einer Welt voller Kameras, Datenbrillen und Smartphones gibt es kein Entkommen.

Der US-Präsident ist zur Familienbespaßung (die übrigens ob des sehr unlustigen Anblicks seiner Blagen wohl versagt haben dürfte) zum Golfen auf der Weide. Schönes Wetter, Gespräche, Secret Service und ein Handicap. Nichts schien ihm den Tag versauen zu können. Hat er sich in seinem Wahn eingebildet, der selbsternannte mächtigste Mann der Welt. Da wagt es doch glatt eine Drohne in seinen Herrschaftsbereich einzudringen, während er golft!!! Frevel!! Seine Beschützer reagieren sofort und schaffen ihn mitsamt Familie erst in eine Garage und dann ins Haus. Was sie nicht bedacht hatten: Die Drohne hatte einige "Mitreisende" huckepack genommen und die kleinen spinnenbeinigen Kameras noch rechtzeitig abgesetzt, bevor die Türen sich schlossen. Jetzt hetzen die hinter dem nach eigenem Bekunden einzig wahren Führer der freien Welt (Immer wieder ein netter Witz, wie oft man ihn auch hört/liest/aufgezwungen bekommt) her und der kriegt es mit der Panik, angstverzerrtes Gesicht - in Großaufnahme. Und daneben die chaotischen Zustände im Secret Service Team - im AHNUNGSLOSEN Secret Service Team. Alles schon schlimm genug. Aber ein subversives Element namens ZERO hat alles live ins Internet gestellt. Da wird den Mächtigen ganz blümerant und schon lassen die US-Staatenlenker nun ihrerseits ihre eigenen Drohnen ausschwärmen: Die Geheimdienste, ihre Teams für nasse Angelegenheiten (oft eh ein und dieselbe Mischpoke) und selbstverständlich werden jetzt die für die Bevölkerung weltweit verborgenen und verleugneten Abhör- und Überwachungsmaßnahmen massiv eingesetzt. Klar schlug die Action Wellen. Selbst in der kleinen Presse-Klitsche Daily hat man das fasziniert beobachtet und Chef Anthony kommt sofort auf die Idee, man sollte eine Reportage über diesen ZERO schreiben. Am besten in Fortsetzung und gekoppelt mit einer vom Daily initiierten Suche nach dem Schlingel. So kommt die Reporterin Cynthia ins miese Spiel. Dazu gibt der Boss auch noch eine neuartige Brille aus, mit der man sämtliche Infos über anvisierte Personen sofort aufs Tablet oder Smartphone oder virtuell zur Ansicht erhält. Alles, was im Laufe der Jahre gespeichert wurde, während die Leute das Internet, ihre Daten weiter gaben oder schlicht durch Überwachunskameras allerorten aufgenommen wurden. Jedes Fitzelchen, das irgendwo mal erfasst wurde, kann eingesehen werden. Cyn nimmt das Ding mit nach Hause, wo ihre 18-jährige Tochter sich fast schon begierig auf diese Neuheit stürzt (Die Brille - Muttern ist keine mehr). Sie erhält die Erlaubnis, das Dingen mit in die Schule zu nehmen und nach dem Unterricht verteibt sie sich mit ihren Freunden Zeit mit dem neuen Spielzeug. Als ihr Kumpel Adam die Brille ausprobiert, sieht er einen Mann, der ihm seltsam vorkommt und überprüft dessen Daten. Das ist doch tatsächlich ein gesuchter Verbrecher. Und wie die Jugend halt so ist, baut er sich mehrfach bedrohlich vor dem Mann auf, verstellt ihm den Weg und will nebenbei noch die Polizei alarmieren. Statt dem kleinen Spacken ordentlich die Backen dick zu polieren, wie es sich gehört, flüchtet der Typ. Also wohl wirklich was dran an der Meldung. Und Superbrillen-Adam hinterher. Tja, Superbrille schützt vor Kugeln nicht. Adam wird von dem Gangster niedergeknallt, seine Freunde sind erschüttert und Presse-Tussi-Töchterchen wird dann mit einem weiteren Kumpel, Eddie, und einer Klassenkameradin, Sally, von Muttern abgeholt. Zu Hause angekommen, bekommt Cyn  mal etwas von ihrer eigenen Medizin zu schmecken, als Kollegen von ihr vor der Tür stehen und sie belästigen, weil sie Informationen verlangen. Geschlossene Tür? Na und. Wird eben dagegengehämmert, bis jemand reagiert. Nach und nach kommt auch ans Tageslicht, dass sich alle Kids mittlerweile bei einer Firma namens Freemee eingeloggt haben, Kunden sind, die auf das Angebot, ihre eigenen Daten zu vermarkten, eingegangen sind. Man kann damit sogar Geld verdienen, aber muss für einige "Angebote" auch zahlen. Über weitere Mögloichkeiten wie bestimmte Apps kann sogar das Verhalten der Leute beeinflusst werden. Über Smartwatches und Smartphones werden Tätigkeiten und Aufenthaltsorte sowie Pulsschlag oder Stresswerte minutiös übertragen. Und jeder macht mit. Wie bei Facebook (Sogar der Autor des Buches ist dort unterwegs. Schelmenspiel.). All dies prangert ZERO an, warnt vor der totalen Überwachung, der Vereinnahmung der Menschen, der Steuerung. Logisch, dass er deshalb von den Machthabern gejagt wird. Und der Presse. Cyn führt das Ganze durch Europa, sogar in die USA - zusammen mit ihrem Kollegen und mittlerweile auch Stecher Chander. Selbstverständlich nehmen sehr zügig auch die Geheimdienste die Zügel auf und hetzen alles und jeden. 

Kurzer Hinweis für den Autor: "Body Snatchers" von Jack Finney wurde nicht nur dreimal als Vorlage genutzt, wie im Glossar erwähnt, sondern viermal (Siegel, P. Kaufman, Ferrara, Hirschbiegel), zuletzt im Jahr 2007. Nur nebenbei erwähnt.
Und etwas für mich Seltsames. Das Buch wurde als "Wissensbuch des Jahres" ausgezeichnet. Okay, da ist schon etwas Skepsis nach der Lektüre angebracht. Aber auf der Rückseite meiner 9. Auflage kommt die Auszeichnung von der BILD der Wissenschaft-Jury. Wie passt das denn - BILD und Wissen? Wer war in dieser Jury? Castingshow-Juroren? Analphabetismusstolze IT-Girls? Ich weiß es nicht, kenne niemanden aus solchen Bereichen und kann mir daher kein festes Urteil erlauben. Aber fragen, das darf ich dann mal doch, oder?
Das Thema ist ja aller Ehren wert und mit "Blackout" hat der Autor auch schon eine sehr gute Visitenkarte abgeliefert. Nun sein Beitrag zur Debatte der allumfassenden Datenspeicherung ohne Wissen der Ausgespähten. Erschreckend dabei, dass hier nicht nur Snowden, der entweder als Verräter oder als Held gepriesen wird in der realen Welt, weil er den NSA-Skandal mit seinen Publikationen auslöste, schon überholt wurde, sondern dass dieses unsägliche Menschenrating erst kürzlich - vor wenigen Tagen - im Videotext als News beschrieben wurde. Eine Firma namens Peeple hat doch allen Ernstes vor, dass man dort seine Mitmenschen mit Sternwertungen ala dem Kraken mit dem "A", der Verlage gerne in seine Verträge drängt, versehen werden können. Da ist Lug und Trug, aber auch Gewalt Tür und Tor geöffnet. Nachbarschaftsstreit dürfte dann eskalieren, eine Debatte über Asylsuchende in Gewalt ausarten, wenn hier auch noch gewertet werden darf und Jobs, ja, die sind dann noch mehr gefährdet als durch fahrlässig auf Facebook eingestellte Suffbilder oder Deppengeschwalle. Die Würde des Menschen wird eh schon verletzt oder missachtet. Mit Duldung der Politik. Aber wenn das wirklich Schule macht - heidiwitzka, dann gehts rund. Einmal in de Boppes und einmal in de Mund. Und es hängt ja jetzt mittlerweile alles an der Scheiße dran. Job, Stromdaten, Bestellungen, Anfragen bei Ämtern - geht ja gar nicht mehr anders. Dieses Rad ist nicht mehr zurüchzudrehen, aber man kann es doch zumindest reglementieren. Doch hier läuft doch bald alles noch darauf hinaus - nur mit der Masse bist du klasse (die Politk sorgt ja auch dafür, dass alle sich kritiklos auf Linie begeben.). Bei den sogenannten Hass-Mails regt sich jeder (nicht zu Unrecht) auf, aber diese geplante Aktion der Firma "Peeples" leistet solchen Sachen doch auch noch Vorschub, denn - HALLO - die Bewerteten müssen weder gefragt noch informiert werden. Immer wieder wird über die Alten gestänkert und gehetzt, weil sie nix leisten und dazu noch zu teuer sind. Die können froh sein, dass sie alt sind, weil sie die Auswirkungen dessen nicht mehr in vollem Ausmaß erleben müssen. Da geht es ihnen wie den glücklichen Entscheidungsträgern in den weltweiten Zentren der Macht: Bis sich die Auswirkungen von deren willkürlichen Vorgaben am eigenen Volk vorbei so richtig schmerzhaft erweisen, sind die längst in ihrem eigenen Grabmal veschwunden und müssen nicht mehr mit den Konsequenzen ihrer Fehler leben - was heißt Fehler, womöglich war ja alles Absicht und nach denen die Sintflut. Hauptsache gut verdient, bei der Wirtschaft immer die Hand aufgehalten und fürn Straßenbau die Bürgerkonten geplündert. Roman und Geschichte selbst sind leider qualitativ weit vom Vorgänger entfernt. Die Protagonistin ist weit weg davon, sich Sympathiepunkte zu erwerben. Nicht nur, dass sie sich im Bereich Presse ebenso verhält wie die von ihr kritisierten Kollegen, sie macht die Jagd auf ZERO auch aus sehr egoistischen Motiven und die Nutzung der Brille, um an ihren Love-Interest zu kommen, ist auch kein Ausbund der netten Heldin. Kann man ja einwenden, dass die Figur nicht immer lieb sein muss, dass man hier ihre verschiedenen Facetten zeigen wollte. Durchaus möglich, aber meines Erachtens nicht gelungen. Aber die Charakter sind insgesamt klischeehafte Abziehbilder, die absolut NULL/ZERO Interesse für sie wecken, zum Mitfiebern allesamt ungeeignet. Sprachlich könnte man dem Autor zugute halten, dass er ein schwieriges Feld leicht verdaulich präsentiert hat. Leider hat es bei mir nur zu Durchfall gereicht. Sehr simpel geschrieben, teilweise Sätze, die man auch dem einen oder anderen Boulevard-Blatt anlasten könnte - sie sind unvollständig. Zwei oder drei hingeworfene Worte. Sollte das Tempo suggerieren? Das kann Matthew Reilly besser. Was haben wir da noch? Die üblen Medien, die  mit ihrer Jagd nach Quoten weder Skrupel noch Niveau kennen, die Menschen nur nach Quote verschachern und denen es absolut niemals um das Wohl irgendeines außer ihnen selbst geht. Stories über die Facebooks und Amis der Welt, über Regierungen, die nach außen propagieren, dass sie sich für den Datenschutz einsetzen und durch die Hintertür gaaanz still und heimlich genau das Gegenteil parktizieren oder einfach jeden Fetzen Information speichern, weil es ja um den Schutz der Bürger geht. DER Witz ist so alt, dass er schon dern klischeehaft-berühmten Bart hat. Oder Regierungen, die einfach Promis vor ihren Karren spannen, die werbeerfahren wie sie sind, jeden Sermon aufsagen, den man ihnen vorgibt, solange die Kasse stimmt natürlich. Tja, da wäre noch diese unsägliche Liebesgeschichte mit dem offenen Ende und die Thrillerelemente mit ZERO und den Geheimdiensten, die man auch in einen Heftroman hätte pressen können. Und der Schluß? Lässt durchaus einige Dinge offen und hat eine Idee, die glücklich UND erschrocken stimmen kann. Ehrlich - nach dem guten "Blackout" war ich enttäuscht. Als Massenware oder um es während der Arbeit gut überwacht unterm Schreibtisch zu lesen (vorausgesetzt diese ActApp warnt einen nicht davor), ohne sich groß konzentrieren zu müssen, reißt es niemand aus seiner und kann locker konsumiert werden, aber das ERgebnis ist doch eher mässig. Ich hätte mir nicht nur eine spannendere, sondern auch etwas intensivere und ernsthaftere Diskussion um dieses heikle Thema gewünscht. Dass er das kann, hat er ja schon bewiesen. Kann man sich - zum Taschenbuchpreis und der Voraussetzung, dass man unangestrengt unterhalten werden will - durchaus gönnen. Pflichtlektüre würde ich es aber nicht nennen.
 

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