Freitag, 22. April 2016

Buchreview "In den Straßen die Wut" R. Gattis

Ryan Gattis. Sechs Tage im Jahr 1992. Polizisten misshandeln einen schwarzen Bürger und Los Angeles explodiert. Plünderungen, überall brennt es; ein Bürgerkrieg mitten im Herzen der westlichen Welt. Was passiert, wenn die Polizei eine Stadt den Armeen der Gangs überlässt? Rechnungen werden beglichen, noch und noch. Davon erzählt dieser ungeheuerliche Roman. Am Anfang ein unmenschlicher Mord: Wir erleben ihn aus der Sicht des Opfers. Dann kommen andere zu Wort: skrupellose und weniger skrupellose Gangster, rassistische Polizisten, Krankenschwestern, Junkies, jugendliche Mitläufer. Und es entsteht das Bild einer Gesellschaft, in der der Stärkere den Schwächeren frisst und die sich im Ausnahmezustand gänzlich enthüllt. 

Los Angeles 1992. Nachdem mehrere Polizisten den dunkelhäutigen Bürger Rodney King schwer zusammengeschlagen hatten, als sie ihn festnahmen, kochte die Volksseele schon. Das Urteil, das die vier Beamten, die sich vor Gericht verantworten mussten, dann erhielten - Freispruch - ließ den Dampfkessel dann platzen. Es kam zu gewalttätigen Aufständen. Im Laufe der Tage weiten die sich immer mehr aus. Plünderungen, Morde, Brandstiftung. Mittlerweile Tagesordnung. Ryan Gattis hat anhand von Aussagen Betroffener siebzehn Stimmen in Ich-Form erzählen lassen, wie es damals war. Die Stadt war im Kriegszustand. Und wo weder Polizei noch Nationalgarde über die Sicherheit wachten, da sie in den Zentren der Aufstände für etwas Ruhe sorgen mussten und es kaum schafften, wurden in den Bezirken, die nun völlig ohne Schutz waren, Rechnungen beglichen. Da wären Feuerwehrleute, Gangmitglieder, militante Polizisten oder einfach nur Unschuldige, die am falschen Ort waren. 

Was hat genervt? Dass der Klappentext sich mal wieder nicht den Hinweis auf Tarantino verkneifen konnte. Mal davon abgesehen, dass das mittlerweile schon fast eine Pandemie ist, wer da den Namen alles zu Vermarktung von was auch immer nutzt, ist es auch schon längst kein Lob mehr. Ryan Gattis hat nach seinen jahrelangen Recherchen in seinem Roman siebzehn Stimmen sprechen lassen und man lernt bald, dass nicht jeder, der hier etwas beizutragen hat, auch nich am Leben sein muss. Irgendwie hat mich die Erzählung an Filme wie "11:14" erinnert, wo nach einem Vorfall zu Beginn nach und nach die Pfade der Beteiligten zueinander führten oder zumindest am Rande Begegnungen stattfanden, ohne dass die Menschen wussten, wer da vor ihnen stand und aus welchem Grund. Es war wie ein Licht in der Nacht, das vorbeizieht. Im Krankenhaus werden Wunden behandelt, die von einer Person verursacht wurden, die man später irgendwo tot auffindet. Ein Feuerwehrmann lernt eine Krankenschwester kennen, die mit einem Gangmitglied verwandt und verbandelt ist. Der Autor schafft einen Ausgangssituation, die in einem anderen Teil der Stadt spielt, aber wesentlich härter zu Buche schlägt, als die eigentlichen Proteste. Hier ist niemand, der die Gangs unter Kontrolle hält. In persönlichen Aussagen wird der Leser von den handelnden Figuren in die Struktur der Gangs, der Süchtigen, der Dealer, der Bosse und der kriminellen Kids eingeführt. Wie man sich Respekt verschafft, wie man sich gegenüber den eigenen Leuten und anderen Razas verhält. Aber es sind auch die persönlichen Dramen, wenn Geschäftsinhaber vor ihrem geplünderten und zerstörten Laden stehen, wenn die Feuerwehr bei ihren Löschaktionen attackiert wirdund keine Polizei sie schützen kann und es ist das Leid das verursacht wird, wenn die Häuser, die man jahrelang mühsam aufgebaut hat, den Flammen zum Opfer fallen, die einer dieser Nutznießer der Aufstände aus reinem Mutwillen in Brand gesetzt hat. Da sind die zu Recht wütenden Opfer des Rassismus, die gegen das Unrecht aufbegehren und da sind die Zerstörer, die den Aufruhr nur aus Spaß machen, die keine Grenzen kennen, nicht einmal die eigenen Leute schonen. Und zwischen all diesen Tragödien erfährt der Leser etwas über das Leben in den Hoods, den Barrios, wo die Obdachlosen froh um einen Schlafplatz sind, wo große Familien auf engstem Raum leben und wo ebenso ehrliche Arbeiter sind wie kleine Gangster und zugekiffte Mörder. Und Polizisten auf dem Selbstjustiz-Trip. Sie kommen, um ein Zeichen zu hinterlassen. Nicht legitimiert, sondern auf Gangniveau. Auch solche gibt es unter den Gesetzeshütern. Stachelt die Meute aber nur nich mehr an. "In den Straßen die Wut" ist kein Killer-Thriller, aber auch keine simple Dokumentation - es ist eine romanhafte Erzählung und Aufarbeitung der Vorkommnisse aus verschiedenen Sichtweisen. Ohne eine Wertung abzugeben. Da sind Kinder unterwegs, die noch an Spielzeug und TV-Serien denken und im nächsten Moment mit Waffen auf der Straße andere niederballern, da sind Familien, die im Drogenwahn nicht mehr den eigenen Leuten trauen. Spannend, eiskalt, brutal und dreckig - und realitätsnah. Das ist "In den Straßen die Wut".

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hört sich gut an, wird gekauft. Hast du auch Lesetipps die in Richtung Nic Pizzolatto ala TD gehen? Oder englische Gangster Flicks ala Howard Linskey. Am besten einfach Police oder Mafia Storys mit Noir Einschlag.
Danke und Gruss J.

Anonym hat gesagt…

Sorry, dass ich so spät dran bin.

Pizzolatto - da ist "Galveston" noch auf der Einkaufsliste
Mafia - Don Winslow "Frankie Machine"
Noir - Paul Lieberman "Gangster Squad"
Crime - Linskey mit der Trilogie "Crime machine", "Gangland" und "Killer instinct".
Crime - Adrian McKinty mit diversen Titeln (alle hier vorgetellt)
Hardboiled - Lawrence Block mit seiner Scudder-Reihe
Noir - Dominique Manotti (auch hier sind zwei ihrer Bücher vorgestellt worden)
Hardboiled - Warren Stroby "Kalter Schuss ins Herz", eine wunderbare Überraschung.
Brit-Crime - In der Fußballszene Philip Kerr mit "Der Wintertransfer" und "Die Hand Gottes"
Crime - Charlie Huston die "Hank Thompson-Trilogie"
Crime - George V. Higgins "Die Freunde des Eddie Coyle"
Mafia - Marvin H. Albert "Der Don ist tot"
Crine - Charles Willeford "Miami Blues"
True Crime - "Tage der Toten" und "Das Kartell" Don Winslow
Mafia + Geheimdienste - James Ellroy und die "Amerika--Trilogie" sowie seine "L.A."-Bücher

Und noch einige mehr. Zudem liegen im Stapel der ungelesenen noch
weitere Werke rum.

Gruß
Harry

Anonym hat gesagt…

Genial!! Danke für die Mühe. Wenige wie Charlie Huston "Hank Thompson-Trilogie" kenne ich bereits. Der Rest wird recherchiert. Gespannt bin ich auf Warren Stroby - kannte ich bislang nicht.

Beste Grüsse
J.

Anonym hat gesagt…

....ach ja Galveston wird dir gefallen! Zieh mir ja zur Zeit die True Detective 2 rein und da hat mich halt die Materie erneut gepackt. Kann und muss weiter empfohlen werden.

J.

Anonym hat gesagt…

@J.
Der Stroby war für mich auch eine Neuentdeckung.
Garry Disher solltest du vielleicht mal recherchieren. Hab die Wyatt-Reihe zwar vollständig hier, aber nicht gelesen.
Mafia-Stoffe. Giancarlo De Cataldo - Romanzo Criminale (wurde auch als TV-Serie verarbeitet) und Suburra
Claudio M. Mancini - La Nera, Mala Vita und Il Bastardo

Danke fürs Lob und es freut mich, wenn ich etwas bei der Auswahl helfen konnte.

Gruß
Harry