Freitag, 27. Mai 2016

Buchreview "Der Anruf" O. Steinhauer

Olen Steinhauer. Flughafen Wien, 2006: Auf dem Rollfeld steht ein Airbus mit einhundertzwanzig Passagieren an Bord, den Terroristen in ihre Gewalt gebracht haben. Die CIA vor Ort hat die Chance, die Geiselnahme zu beenden und Blutvergießen zu verhindern. Doch ihr Plan wird verraten – alle Passagiere kommen ums Leben. Der entscheidende Anruf kam aus dem Quartier der CIA. Kalifornien, 2012: CIA-Agent Henry Pelham ist nervös. Nach Jahren wird er seine Kollegin Celia Favreau wiedersehen, mit der er in Wien eine kurze Beziehung hatte. Zusammen versuchten sie in jener Nacht fieberhaft, das Leben der Passagiere zu retten. Nun hat die interne Ermittlung der CIA den Fall neu aufgerollt. In einem Restaurant treffen sich Henry und Celia. Was als Gespräch unter ehemals Vertrauten beginnt, entwickelt sich zu einem packenden wechselseitigen Verhör, das schließlich die Wahrheit über den Verrat von Wien ans Licht bringt.

Die Verstorbenen aus dem Flugzeug in Wien lassen der CIA keine Ruhe. Irgendwann kommt ans Licht, dass von Hauptquartier aus bei den Terroristen in der Maschine angerufen wurde. Aus welchem Anlass? Und vor allem - Wer hat da angerufen? Gehörte etwa jemand zu den Verbrechern? Henry Pelham macht sich auf, dieses Rätsel zu bearbeiten. Verschiedene Mitarbeiter von damals hat er schon an deren derzeitigem Wohnort aufgesucht und befragt. Nun ist er in Kalifornien, um Celia zu befragen. Mit ihr hatte er in Wien damals eine Affäre - bis sie ihrem Arbeitgeber und dem Stress plötzlich und unerwartet den Rücken kehrte (und somit auch Henry) und einen reichen älteren Mann namens Drew heiratete, mit dem sie nun friedlich in ihrem feinen zu Hause mit ihren beiden Kindern lebt. Sie verabredet sich mit Henry zum Essen in gediegenen Lokal in der Stadt. Sie schwelgen einige Zeit in der Erinnerung an früher, bis das Gespräch die Wende nimmt, die es nach Henry auch nehmen sollte. Es wird zum Verhör.

Olen Steinhauer lässt sich Zeit, stellt in aller Gemütsruhe die Protagonisten vor, zeigt nach und nach ihre Schwächen auf, seziert fast schon ihre Beziehung zueinander. Und nur in kleinen, eher schon minimalen Portionen serviert er dem Leser die Ereignisse von damals in Wien. Wer die bisherigen Bücher von Olen Steinhauer kennt, dürfte wissen, dass vordergründige Action bei ihm nicht zu finden ist. Statt an den America First-Krachern orientiert er sich eher an alten Meistern des Spionagefachs und streut klitzkleine Hinweise in seine Story ein, die erst sehr spät ein richtiges Bild ergeben. "Der Anruf" ist ein äußerst dialoglastiges Buch, das auch von den Rückblenden zu den früheren Geschehnissen sowie der Beziehung der Protagonisten lebt. Deren Blick auf die Dinge wird in unterschiedichen Sichtweisen erzählt. Mal aus der Warte von Celia und ein anderes Mal aus der von Henry. Zugegeben, passieren tut nicht wirklich viel in dem eher als Kammerspiel angelegten Roman mit Hang zum klassischen Krimi. Man wartet aber als Leser direkt darauf, dass sich endlich etwas ergibt, sich Spuren auftun oder jemand einen Fehler macht. Das macht die Spannung der Lektüre aus. Er ist raffiniert und durchaus clever konstruiert, sodass man bei den rund 270 Seiten nicht vor Langeweile völlig ermüdet, obwohl nicht wirklich viel passiert. Statt "Der Anruf", der natürlich wichtig und der eigentliche Auslöser des Ganzen ist, hätte man den Roman auch "Der Dialog" nennen können. Und der Leser lernt das Spiel um Spionage und Verrat, um Lügen und Halbwahrheiten im diffusen Licht der Geheimdienste durch Olen Steinhauer ("Die Kairo-Affäre") gut kennen. Keine Helden in Anzügen, denen alles gelingt. Nur Menschen mit Fehlern und irrigen Ansichten oder Loyalitäten, die durchaus auch immer mal wieder wechseln können. Wer Action sucht, ist hier falsch. Für einen komplexen Spionagethriller aber genau richtig.

Keine Kommentare: