Toulouse: Das Unheil beginnt mit einem verstörenden anonymen Brief eines vermeintlichen Selbstmörders. Zunächst glaubt Radio-Moderatorin Christine Steinmeyer an einen Irrläufer, der da in ihrem Briefkasten gelandet ist. Doch dann meldet sich in ihrer Live-Radiosendung ein Mann zu Wort, der Christine für den Tod eines Menschen verantwortlich macht. Zeitgleich erhält Kommissar Martin Servaz einen Hotelzimmerschlüssel zugeschickt. Zimmer 117, im Hotel Wilson in Toulouse. Dort hatte sich vor einem Jahr eine Künstlerin auf grauenvolle Art das Leben genommen. Angeblich. Wer ist der ominöse Absender dieser Schlüssel-Botschaft? Während sich Servaz auf die Suche nach der Person macht, die ihm den Schlüssel zugesandt und herausfinden will, was die damalige Selbstmörderin damit zu tun hat, wird die Radiomoderatorin immer mehr in die Enge gedrängt. Man dringt in ihre Wohung ein, verletzt ihren Hund, pinkelt auf die Türmatte, isoliert sie von den Kollegen. Bald ist ihr Job futsch, ihr Liebhaber glaubt ihr kein Wort und lässt sie im Stich. Selbst ihre Nachbarn halten sie für eine gefährliche Verrückte. In ihrer Not lädt sie einen Clochard in ihre Wohnung ein, um überhaupt jemand zum Reden zu haben. Der erweist sich dann auch noch als überaus gebildeter Mann und seine Geschichte ist ihrer durchaus ähnlich. Unterdessen findet der eigentlich immer noch krankgeschriebene Servaz eine Spur, die sich bald mit den Geschehnissen um die Radiomoderatorin kreuzt.
Was die Geschichte des Kommissars Martin Servaz angeht, sollte man die beiden Vorgängerbücher "Schwarzer Schmetterling" und "Kindertotenlied" schon kennen, da immer wieder Verweise auf die düsteren Taten eines Verrückten auftauchen, die dafür sorgten, dass der Polizist weiterhin krankgeschrieben ist. Darunter auch wesentliche Teile, die zu seiner Marianne bzw. deren Tod führten. Wieder eine etwas andere Kost, etwas schwerere von Bernard Minier. Es dauert seine Zeit, bis man Zugang zu dem Buch erhält. Vorerst wird die Handlung die meiste Zeit aus der Sicht von Christine erzählt, die nach und nach bald selbst an sich zweifelt, so sehr wird sie von einem - oder mehreren? - Unbekannten getriezt. Und sie muss auch bald feststellen, dass sie nicht gerade zu den beliebtesten Menschen in Toulouse zählt. Die Kollegen mögen sie nicht, die Nachbarn ebensowenig. Doch je mehr Zugang der Leser zu ihr und ihren Gedanken erhält, umso mehr kann er in einigen Punkten mit den Nachbarn mitfühlen. Und mit Fortschreiten der Aktivitäten der fremden Stalker nimmt auch der Spannungspegel stetig zu. Dazu bei trägt dann auch die Suche von Servaz. Als er dann auch Zusammenhänge entdeckt, die dem Leser zwar einen gewissen Aha-Effekt entlocken können, aber ihm noch lange nicht, beginnt ein komplexes Verwirrspiel, das nur scheinbar etwas aufdeckt und dann doch wieder einen Haken schlägt. War ich zwischendurch schon mal der Meinung, ich hätte einen Psychothriller der gewohnten Art vor mir - was für Bernard Minier ein Rückschritt gewesen wäre -, wurde der letzte Akt so richtig durcheinandergewirbelt und weist so die eine oder andere kleine perfide Spitze auf, die das Ruder aber so richtig rumreißt. Dann ist es wieder das düstere, beängstigende Werk eines exzellenten Autors namens Bernard Minier, das den Leser schwer beeindruckt hinterlässt. Ein Thriller mit vielschichtigem Hintergrund, an den nur schwer durch andere Autoren heranzukommen ist. Da müssen sie sich ganz schön strecken. Und ja, es wird einen weiteren Roman um Martin Servaz geben. In der Zwischenzeit kann man sich ja mit dem demnächst erscheindenen rund 950 Seiten umfangreichen Werk von Jean-Christophe Grange mit dem Titel "Purpurne Rache" trösten und überprüfen, ob der wieder an seine frühere Klasse anknüpfen und sich mit seinem Landsmann messen kann. Klare Leseempfehlung für Freunde des gepflegten und cleveren Psychothrillers.
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