Mittwoch, 17. September 2008

Buchreview "Berufung"


John Grisham
. In wenigen Minuten wird das Urteil der Jury erwartet. Nach einem monatelangen, nervenaufreibenden Prozess ist der Moment gekommen, auf den Jeanette Baker so lange gewartet hat. Die junge Frau hat alles verloren. Ihr kleiner Sohn und ihr ehemann sind qualvoll an Krebs gestorben, verantwortlich für ihren Tod ist Krane Chamical Inc., davon ist Jeanette überzeugt. Jahrelang hatte der Konzern hochgiftige Abfälle illegal entsorgt und somit das Trinkwasser der Region verseucht. Niemand hat die Kraft noch den Mut aufgebracht, den Kampf gegen den Chemieriesen mit seiner Armada von hochbezahlten Anwälten aufzunehmen. Nur Jeanette Baker hat sich getraut. Als ihrer Klage stattgegeben wird und Krane Chemical zu 41 Millionen Dollar Schadenersatz leisten muss, ist die Sensation perfekt. Die Freude währt jedoch nur kurz. Angeführt von Firmenboss Trudeau, geht der Chemiekonzern in die Berufung. Um sein Unternehmen zu retten, ist Trudeau jedes Mittel recht.
Eigentlich müsste ich hier die Überschrift "Der Unverbesserliche" wählen, da ich mich von meinem inneren Schweinehund doch glatt wieder überreden ließ, den neuen Grisham käuflich zu erwerben. Eines vorweg - es ist nicht so schlimm geworden wie bei den letzten Outputs des Autors. Hier werden von ihm die Fronten sofort geklärt: Auf der einen Seite die Guten in Form der vom Schicksal und der Firma gebeutelten Klägerin mit ihren Anwälten, die alles opferten, um den langen Prozess finanzieren zu können, dort der riesige Konzern mit dem rücksichtslosen CEO, der Heerscharen überbezahlter Anwälte und Winkeladvokaten an seiner Seite hat. Und bevor es in die Berufungsverhandlung geht, zeigt uns Grisham, wie das Gesetz wirklich funktioniert (nein, nicht wie es laut der Gesetzesbuchstaben funktionieren sollte). Geld regiert die Welt. Macht öffnet alle Türen. So werden die Lobbyisten eingespannt, um bis zum Zeitpunkt der Berufung einen neuen und genehmen Richter an die Spitze des Courts zu hieven, es werden Abermillionen Dollar zur Verfügung gestellt, um die Wahlkämpfe auszufechten, damit dies erfolgreich geschieht. Zudem werden Detektive auf die Gegenanwälte angesetzt, um Schmutz zum Verbreiten in der Öffentlichkeit zu finden. Man deckt die Gegenseite mit ihren paar Anwälten mit 16.000 Seiten an Schiftsätzen ein, manipuliert Senatoren, Polizei und Wählerschaft, um Stimmung gegen das bisherige Urteil zu machen, schließt sich mit ähnlich denken Gruppierungen aus Wirtschaft oder Reilgionsfanatikern zusammen, die "Wahlkampfspenden" aufbringen, um den richtigen Richter für die richtigen Urteile an den richtigen Platz zu bringen. Die gewählten Volksvertreter spielen mit, da die finanziellen Anreize höher zu bewerten sind als der Auftrag ihrer Wähler.


Vielleicht sollte ich hier noch nebenbei erwähnen, dass der Meister sich geneigt sah, dem allgemeinen Schlankheitswahn in den USA, der sich von dort ja wie McDonalds und Starbucks oder andere ähnliche Seuchen von Übersee ins schöne Europa (oder wie so mancher Politprotz an der Spitze der einzigen Weltmacht oder Weltpolizei *gg* mal zu behaupten pflegte - die alte Welt.) ausbreitete, einen Spiegel vorzuhalten und seine Schilderung der Magertussen, die durch übergroße Silikonvorbauten nicht nur Gleichgewichtsprobleme mitimplantiert bekamen (wie Mike Krüger früher zu sagen pflegte: Wenn die nach vorn fällt) sondern auch den Appetit einer Feldmaus mit Durchfall, ist schon amüsant zu lesen. Egal, welches Alter die Damen erreicht haben, sie sehen alle gleich aus. Und er hat sich immerhin das Klischee erspart, dass diese Vorzeigefrauen alle mit Blödheit gesegnet seien (soll ja tatsächlich Ausnahmen vom Hilton-IQ geben - nach oben meine ich, also über Alaskatemperatur).
Klingt das irgendwie abwegig? Eigentlich nur, was die Summen betrifft, mit denen in den Vereinigten Staaten von Amerika in Schadensersatzprozessen jongliert wird. Ansonsten kann man sich über die Macht der Wirtschaft und Großkonzerne und die Ohnmacht oder gar tätige Mitwirkung der gewählten Volksvertreter auch in Deutschland oder jedem anderen x-beliebigen Land informieren. Läuft es hier wirklich so anders? Nö, nur ne Nummer kleiner. Noch!!! Frag mal die Stromkonzerne oder Gazprom und Schröder. Andere Marktbeherrscher wie Telekom oder Bahn werden gar nicht oder selten ausgebremst, wenn sie zu unverschämt werden (Mehdorn und der Servicezuschlag pro Fahrt beim Ticketverkauf am Schalter). Normalerweise können sie machen, was ihnen in den Sinn kommt under werden noch unter dem Deckmantel der Standorterhaltung und des wirtschaftlichen Aufschwungs für Deutschland fröhlich mit unseren Steuergeldern gefördert, die sie dann in ihren Bilanzen stolz als Gewinn präsentieren und die Lohnleistung für Lobbyisten oder sonstige Unterstützer aus der Politik mit ihren vielen Nebenjobs in Aufsichtsräten können sie auch noch von der Steuer absetzen.
Grisham zeigt uns hier ein pervertiertes Rechtssystem, das nach Gutdünken von einigen Wenigen mit genug Geld und Macht ausgehöhlt wird, während von Staatsseite nichts geschieht. Wie in seinen Romanen ungefähr ab "Die Akte" wählt Grisham auch hier wieder eine einfachere Form der Sprache, um seinen Roman den Lesern näher zu bringen bzw. um ihn gleich als Drehbuch Richtung Hollywood vorzubereiten. Sprachlich ausgefeilte und inhaltsmäßig spannende Werke wie
"Die Firma" gelingen ihm seit etlichen Jahren nicht mehr, das Niveau hat sich eher den einfachen Groschenheften angenähert, bei denen man ja auch das Denken getrost einstellen kann. Reine Unterhaltung auf unterem Niveau. Eher etwas für die Mittagspause in der Kantine. Nur für diesen hat er sich etwas bemüht, den Inhalt nicht zu einem Reisebericht mit Lokalkolorit verkommen zu lassen. Die Schilderung des Gegenangriffs der Firma nach dem Urteil wird interessant rübergebracht und animiert immer mehr zum Weiterlesen. Grisham-Fans lesen das Ding sowieso, Grisham-Gegner wie ich wurden positiv überrascht und sind einigermaßen zufrieden, Grisham-Neulingen ist es zu empfehlen. Nicht seine große Rückkehr, aber ordentlich mit guten Ansätzen.

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