Dienstag, 20. Juli 2010
Buchreview "Leopard"
Jo Nesbo. Harry Hole ist am Ende, er hat alle Brücken hinter sich abgebrochen und lebt zurückgezogen in Hongkong. Gleichzeitig erschüttert eine Serie aufsehenerregender Morde Oslo. Die junge Kommissarin Kaja schafft es schließlich, ihren berühmten Kollegen zurückzuholen. Schnell wird Harry immer tiefer in den Fall hineingezogen. Der Täter erweist sich als äußerst unberechenbar und intelligent. Er arbeitet mit einem perfiden Mordwerkzeug, das lautlos und quälend langsam tötet. Die Spuren führen Harry von einer einsamen Hütte im norwegischen Hochgebirge bis nach Ruanda. Als er dem Killer schließlich gegenübersteht, muss er eine übermenschliche Entscheidung treffen.
Harry Hole ist fertig. Sein letzter Fall ("Der Schneemann") hat ihn endgültig gebrochen. Abgetaucht in Hongkong säuft er wieder wie ein Loch, hat Wettschulden und wird von der Chinesenmafia bedrängt. Ein guter Grund, sich letztendlich wieder zurück nach Oslo locken zu lassen und sich um seinen schwer kranken Vater zu kümmern. Gleichzeitig wird er aber in einen Serienkillerfall hineingezogen, der es in sich hat. Nach und nach lichtet sich der Nebel um den Täter, eine Todesliste wird aufgefunden, an der dieser sich orientiert und der Fall scheint der Lösung nahe. Glaubt die Polizei inklusive Harry Hole. Doch über dem ganzen Kompetenzgerangel um die Vorherrschaft im norwegischen Justizsystem und Machtgehabe der Protagonisten geht völlig unter, dass man sich in eine zu einfache Lösung verrannt hat. Wie immer sitzt Harry hole zwischen allen Stühlen und weigert sich strikt, es jemandem recht zu machen. Eigenmächtig ermittelnd setzt er mit geschickt platzierten Lügen und Halbwahrheiten die Ermittlungen fort und die Puzzleteile zusammen. Dabei stellt er fest, dass die Lösung des Falles vielleicht gar nicht in Norwegen zu suchen ist und macht sich auf die Reise nach Ruanda. Nicht gerade die beste Wahl für den norwegischen Kommissar, der stets am rande der Selbstzerstörung wandelt. Er muss seine inneren Dämonen zumindest zeitweise ohne seine tapferen Helferlein Alkohol und Opium zügeln, um die vielen falschen Fährten aufzudröseln und die Intriganten im Justizapparat an die Kandarre zu nehmen. Alles entwickelt sich zu einem komplexen Fall, in dem alle Opfer sind. Opfer des Mörders. Opfer des Lebens. Opfer der Umstände. Opfer der Gesellschaft. Ungeschoren kommt keiner davon. Bis zum bitteren Ende.
Eine erneut facettenreiche Story aus der Feder von Jo Nesbo, der seine Qualität ein weiteres Mal unter Beweis stellen kann und nicht wie so viele andere Autoren nach ein oder zwei gelungenen Outputs auf flache, leicht verdauliche und daher gut verkäufliche Massenware setzt. Da ist die menschliche Seite mit dem todkranken Vater von Hole und Holes eigenen Dämonen, die er zu vertreiben oder zumindest mit Drogen zu unterdrücken sucht. Dazu die Machtgier in verschiedenen Varianten von seinen Vorgesetzten je nach persönlichem Gusto propagiert und über allem die Jagd nach dem Täter. Alles gewürzt mit unerwarteten Wendungen, falschen Fährten und massenweise Verdächtigen. Die Stimmung um Hole und seine Recherchen wird optimal vermittelt, das ganze Ambiente ist bedrückend, überlagert von einer düsteren Atmosphäre, die sämtliche Aspekte des Falles und das Privatleben des Kommissars überschattet. Der sterbende Vater, Alkohol, Opium, Folterinstrumente aus dem tiefsten Afrika, Lug und Trug. Die Suche nach positiven, lebensbejahenden Formeln des Daseins könnte im neuen Werk von Jo Nesbo zur Lebensaufgabe werden, da wirklich nur in Nebensätzen vielleicht mal so etwas wie Optimismus ausgestrahlt wird. Ein äußerst negatives Bild der skandinavischen - aber nicht nur - Gesellschaft, wie es auch schon Mankell oder Edwardson zu vermitteln wussten. Ein starker, schwermütiger Thriller mit ein, zwei fiesen Ideen, die glatt aus der "Saw"-Masse entnommen sein könnten.
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