Freitag, 25. Juli 2014

Buchreview "Die Geiseln" I. Remes

Ilkka Remes. Am 6. Dezember, dem finnischen Unabhängigkeitstag, dringen schwerbewaffnete Männer in den Präsidentenpalast ein und bringen die gesamte Elite des Landes in ihre Gewalt.

Die beiden Serben Vasa und Radovan versuchen ihren als Kriegsverbrecher verurteilten Vater aus einem finnischen Gefängnis zu befreien. Sie entführen die Frau eines Wärters und können so ihren Erzeuger aus dem Knast holen. Doch die Flucht läuft nicht so simpel wie geplant. Vasa, der sich bisher nur mit einigen Überfällen auf Geldtransporter in seiner neuen Heimat Schweden einen "Namen" gemacht hat, glaubte, in Finnland würde alles ähnlich leicht ablaufen wie im Nachbarland. Deshalb hat er sogar seine dortigen Komplizen gar nicht erst mitgenommen und alles allein mit seinem Bruder Radovan zu stemmen versucht. Doch sie werden gestoppt, Radovan erschossen, die Geisel befreit, Vasa kann flüchten und sein Vater, der auch noch Probleme mit dem Herzen hat, wird gefangen genommen. Zurück in Schweden entwickelt er einen neuen Plan, um nicht nur seinen Vater zu befreien, sondern auch Rache an den Finnen zu nehmen, die sich im Kosovo-Konflikt im ehemaligen Jugoslawien und dem Balkankrieg auf die Seite der Nato gestellt hatten. Seiner Meinung nach hatten die Finnen dort nichts verloren. Was gehen andere Nationen die internen Streitigkeiten eines souveränen Staates an. Vasa und seine fünf Freunde bewaffnen sich über einen Mittelsmann und finanzieren dies mit dem Geld aus den vorangegangenen Überfällen. Zwar werden Vasa und auch seine Schwester in Schweden durch die ihnen nachgereist finnische Kommissarin Johanna Vahtera befragt, aber die kann nichts in Erfahrung bringen, wobei Mila, die Schwester tatsächlich nichts weiß. Am 6.12., dem finnischen Umnabhängigkeitstag, dringen tatsächlich vier schwer bewaffnete Serben in den Präsidentenpalast ein und nehmen über hundert Geiseln. Da zwei von ihnen zuvor schon von der Polizei angehalten und einkassiert wurden, pressen sie zuerst diese frei und lassen dann auch noch eine Helferin holen, die aus der Ferne die Aktion beobachtet und sie mit Informationen versorgt hat. Timo Nortamo, der sich in Brüssel aufhält, muss nun nach Finnland, um die Situation in den Griff zu bekommen, da sie mittlerweile auch immer internationaler wird. Da wird statt Geld ein Rohstoff verlangt, der zur Herstellung von Tamiflu für die vor dem Ausbruch stehende Vogelgrippe dient. Die Firma sitzt in der Schweiz, der Rohstoff kommt aus China. Und die Gangster verlangen und erhalten ein Flugzeug, das sie Richtung Russland bringen soll. Zuvor lassen sie aber einen großen Teil der Geiseln frei. Mit an Bord auch Johanna Vahtera sowie der aus der Haft gepresste Vater. 

Illka Remes ist bekannt für seine temporeichen Page Turner, was auch dieser Roman aus dem Jahr 2006 unter Beweis stellt. Hier und da haben sich zwar einige Unsinnigkeiten eingeschlichen, die besonders zu Beginn des Buchs bei korrekter Arbeit der Polizei - und somit des Autors - aber zu einem frühzeitigen Ende geführt hätten. Die Geiselnahme an sich ist im Großen und Ganzen eine recht simple Angelegenheit, die lange keine Überraschungen verspricht. Alles läuft ab, wie man es aus vielen derartiger Werke kennt. Die Beteiligung der Serben aber nutzt Ilkka Remes, um einmal einen anderen Blick auf den Balkankrieg zu werfen. Er skizziert die Gemütslage der Serben, die aufgrund ihres Amokläufers Milosevic plötzlich als die alleinigen Volksmörder dastanden. Die Berichterstattung wurde einseitig, Fotos, die einen Eindruck von Konzentrationslagern in Serbien erzeugen sollten, waren ein Fake, da der Fotograf innerhalb eines umzäunten zerstörten Bahnofsgeländes stand, während die vom Krieg gebeutelten Menschen entlang des Zaunes hoffnungslos auf der Suche nach Nahrung oder einem sicheren Ort entlangschlurften. Es wird die Diskussion entfacht, ob Finnland der EU damals schon wirklich nur hörig war und aus Angst vor den Russen noch nicht der NATO beitrat, sondern nur Hilfe anbot. Ilkka Remes beleuchtet nach und nach die Schrecken des Balkan-Krieges und lässt die Frage offen, warum denn nun wirklich nur die Serben als die alleinigen Übeltäter ausgemacht wurden und nicht die als ebenfalls sehr brutal vorgehenden muslimischen Kosovo-Albaner? Anhand der Geschichte erfährt man, dass Serbien schon seit jeher den Westen gegen die Türken oder andere Moslems verteidigt hat, die in früheren Jahren in Europa einfallen wollten, um ihren Glauben zu verbreiten. Ist es der neuen Welle der politischen Correctness geschuldet, dass man nun lieber die eigenen Leute beschuldigt und sich von den sogenannten Minderheiten und Andersgläubigen alles gefallen lässt und die dann auch noch für ihre aggressive Art in jeder Lebenslage betütelt werden? Eine Antwort darauf gibt es im Buch nicht. Zum Ende hin bekommt man dan auch die Wendungen zu lesen, die man von Romanen neueren Datums gewohnt ist. Stilsicher, prägnant und präzise, mit guter Recherche, durchaus auch emotional ist "Die Geiseln" ein guter und gelungener Ilkka Remes, der aber von seinen späteren Werken immer wieder getoppt werden konnte. Der Autor wurde halt von Jahr zu Jahr einfach immer besser. zugestehen kann man ihm aber auch ohne schlechtes Gewissen, dass er mit den internationalen Top-Autoren im Thrillerbereich jederzeit mithalten kann und auch oftmals brisante und wirklichkeitsnahe Themen aufgreift und mit kritischen Anmerkungen nicht hinterm Berg hält, auch wenn er die Situationen und Probleme letztendlich nicht abschließend bewertet. Eine weitere Empfehlung. Ein Tipp: vielleicht als Ersteinsteiger auch mit den früheren Werken von ihm beginnen, sodass man der kontinuierlichen  Steigerung des Autors auch folgen kann. Wer mit dem zuletzt erschienenen "Schockwelle" beginnt, wird hier die Unterschiede dann doch zu sehr bemerken.

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