Montag, 6. Juli 2015

Buchreview "Wüste der Toten" U. Waite

Urban Waite. Vor zehn Jahren hatte Ray noch ein Leben und eine Zukunft. Jetzt hat er nichts mehr. Auch nicht zu verlieren. Einen letzten Job für seinen Boss, einen Drogenbaron, muss er noch erledigen. In Coronado, einem Kaff in der Wüste von New Mexico, das schon bessere Tage gesehen hat. Aber zehn Jahre sind eine verdammt lange Zeit, die Spielregeln haben sich geändert. 

Ray war vor zehn  Jahren einer der besten Leute des Drogenbosses Memo. Er hat aus dem Weg geräumt, was die Geschäfte gestört hat. Und war da halt mal der eine oder andere Mensch dabei, hielt er es mit dem ollen Joe Stalin: Keine Menschen, keine Probleme. Doch dann kamen Frau und Sohn von Ray ums Leben und er verschwand Richtung Norden. Jetzt ist er wieder da, voller böser Erinnerungen und mit einem Auftrag, der schon beinahe beleidigend für ihn ist - er soll das Kindermädchen für den Neffen von Memo spielen, der neu im Geschäft ist und mit seiner Zeit im Gefängnis prahlt, sonst aber wenig zustande bekommt. Egal, das scheint die Chance für Ray, genug Geld für einen euen Anfang zu ergattern und mit seinem seit dem Unfall tauben und behinderten Sohn ein geregeltes Leben zu beginnen. Und der Überfall entwickelt sich fast zu einem Disaster. Der eine Begleiter des Drogentransports des Kartells ist Ray bekannt, wird vom Jungspund Sanchez sofort erschossen, der jüngere zweite Mann kann fliehen. Sanchez hinterher und auf Entfernung mit einer Kugel aus dem Gewehr niedergestreckt. Zufrieden kehrt der zu Ray zurück und sie schnappen sich die Drogen und verschwinden. Unprofessionell, wie sich schnell herausstellt. Sanchez gibt sich in einer Kneipe die Kante, deren Boss Dario ist - und der fürs Kartell arbeitet. Und zudem hat Sanchez sich nicht überzeugt, dass der Typ aus der Wüste tot ist. Der konnte sich schwer verletzt zur Straße schleppen und wurde von einem Autofahrer gefunden. Jetzt liegt er im Krankenhaus und gilt als Gefahr. Ray wird genötigt, die Sache zu regeln. Gelingt ihm auch, aber inzwischen ist auch Sheriff Edna Kelly an der Sache dran und die lässt sich von den Beschwichtigungen des Bürgermeisters nicht stoppen. Zusammen mit ihrem Vorgänger Tom geht sie den brutalen Vorfällen in ihrer Stadt nach. Und schon bald entdeckt sie mehrere Leichen, muss sich um den Fall des Toten Zeugen kümmern, der von Ray ausgeschaltet wurde und mit den Stadthonratioren auseinandersetzen, die die Sache kleinhalten wollen, weil sie sich um den Ruf der Stadt sorgen.

"Wüste der Toten" passt als deutscher Titel nur bedingt, aber irgendwie kann man ihn im weiteren Sinne doch aufs Buch beziehen. In dieser Wüste Anfang der 1990-er Jahre ist eigentlich alles schon tot. Coronado war ein Boom-Städtchen. Es gab Öl! Ranchen und Farmen, die auf dem kargen Land kaum große Chancen hatten wurden auf Ölförderung umgestellt, kleinere Quellen bald von den gierig ins Land eingefallenen Großen geschluckt. Das ging so weiter, bis die alles unter Kontrolle hatten. Das Verbrechen hielt ebenfalls Einzug. Drogen machten sich breit, die Kartelle kamen von Mexiko nun nach Norden nach New Mexico. Und dann kam die Rezession, die Stadt ging den Bach runter. Und mit den langsam versiegenden Ölquellen, stirbt nun auch das Städtchen langsam vor sich hin. Geschäfte stehen leer, voller Optimismus errichtete Häuser werden verlassen, wenn die Jobs ausbleiben, das Geld knapp wird. Und die Charaktere. Wirken alle irgendwie, als hätten sie sich mit den Gegebenheiten arrangiert und wüssten, dass sie nur so und hier überleben können. Kleine Geheimnsse hat jeder zu verbergen, der eine oder andere auch größere. Persönliche Dramen mussten alle durchstehen, seien es Gangster oder gesetzestreue Bürger - und die Geier warten schon. Memo, Drogenboss vor Ort, würde gerne den Vertreter des Kartells in Coronado ausschalten. Doch der, Dario, ist mehr damit beschäftigt, endlich Ruhe in sein Leben zu bringen, mit dem kriminellen Dasein abzuschließen. In diese trostlose Welt kommt Ray zurück, der alle noch von früher kennt und glaubt, er könne sich von seinem Leben als Killer endgültig verabschieden und ein neues Leben beginnen. Schnell muss er einsehen, dass in dieser sterbenden Stadt, der trockenen und tristen Wüstenregion, nichts davon möglich ist. Keiner kann seinem Schicksal in diesem wortkargen "Wüsten-Noir" entrinnen, der keine ausschweifenden Dialoge braucht und nur in einigen Rückblenden den Werdegang oder die Motivation seiner Protagonisten thematisiert. Am Ende bleiben einige Tote und viele Enttäuschte, denen die Flucht in ein vermeintlich besseres Leben nicht gelungen ist und die mit ihrer Vergangenheit zurechtkommen müssen. Wie schon in "Schreckensbleich" konzentriert sich Urban Waite auf ein Szenario ausserhalb der Metropolen, schildert ein Leben in fast vergessenen Regionen, die der Staat im Prinzip vergessen hat. Gegenden, die ihren eigenen Regeln, dem eigenen Moral- und Ehrenkodex folgen und hartgesottenen Menschen, die schon ihr ganzes Leben im Kampf um eine vernünftige Existenz dort verbracht haben. Er verzettelt sich nicht in ewig langen Ausführungen, erklärt nicht ausschweifend, sondern lässt den Leser in knappem Stil dem nicht aufzuhaltenden Zug des Schicksals zu einem Ende folgen, das nur bedingt befriedigt. Für Hochglanzleser eher ungeeignet, für Personen, die gerne "Gut" und "Böse" klar getrennt haben würden, auch nicht die richtige Lektüre. Einige Actionsequenzen werden nicht reißerisch in den Mittelpunkt gestellt, sondern in einer Art geschildert, als würden sie sich gerade so nebenbei ereignen. Aber alles, wirklich alles, ist so gut zusammengefügt worden zu einer Geschichte, einem Drama, dass es seine Wirkung voll entfalten kann und mich rundum überzeugt hat. Mit "Keine Zeit für Gnade" kommt im Februar 2016 der nächste Urban Waite - und ich bin sicher wieder dabei. Abwechslung in meinem sonstigen Lesestoff. Aber eine gelungene.

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