Mittwoch, 25. Mai 2016

Buchreview "Mr. Torso - und andere Extremitäten" E. Lee

Edward Lee. Neun Erzählungen von Edward Lee, die seine obszöne literarische Klasse zeigen. Und natürlich geht es wieder um seine Lieblingsthemen: Sex, Rednecks und Monster – und das alles gewürzt mit Zynismus und blutiger Gewalt. 

Da bekommt es der Leser mit einem Sammelsurium von Auswüchsen der Lee'schen Art zu tun. Man begegnet Lud, der dafür sorgt, dass kinderlose Paare doch zum Babyglück kommen oder zwei Mafiastrategen, die es tatsächlich schaffen, eine Leiche zu verlieren. Tote Nutten kehren ins Leben zurück und rächen sich an ihren Peinigern oder ein Mann geht zur Therapie, weil er immer wieder dem Drang nachgibt, Rotze aufzuklauben und zu essen. Ein kleiner Fisch, der vom großen Boss eine Lieferung kaufen will, erlebt sein blaues Wunder und in einer anderen Geschichte geht Mr. Smith garantiert nicht nach Washington. Zwei Psychotanten geraten eindeutig an den falschen Kerl und "Das Baby" entfaltet die ganze Hölle Backwood. Und zum krönenden Abschluss gibt es noch eine kleine Lehrstunde, was "Das McCrath Modell SS40-C, S-Serie" ist und welchen Nutzen es dem geneigten Besitzer bringen kann. 

Da gibt es kein Taktieren, keine langen Einführungen (Okay, die eigentlich nach Lee-Art doch, aber ich meinte hier eher die Charakterisierung der Figuren), sondern der Leser wird direkt ins Geschehen hineingeworfen. Und wer die Werke von Edward Lee schon kennt, weiß auch, dass ganz besonders jene in der Extrem-Reihe des Festa-Verlages nichts für zarte Gemüter und empfindliche Mägen sind. Die neun Geschichten sind nur etwas für ganz Abgebrühte. Aber in der ersten Geschichte "Mr. Torso" war für mich auch auffällig, dass die Grundidee der Story durchaus Brett Williams dazu gereizt oder besser inspiriert haben könnte, seinen "Frauenzwinger" zu schreiben. Dann hat er noch etwas darum herum zugefügt und fertig war ein Lee light. Und bei der Tirade von Tipps (Tibbs?) stand wohl ganz klar Clint Eastwood aus seiner Ansprache in "Dirty Harry" Pate, als der seinen neuen Partner (gespielt von Reni Santoni) in dem Film begrüßt. Auch in "Ms. Torso" gibt es eine Anspielung auf einen Schauspieler. Hier ist es Robert Blake ("Baretta"), der sich wegen Mordes an seiner Frau verteidigen musste (im wahren Leben) und später freigesprochen wurde. Alle Geschichten habe nicht nur den Autor gemeinsam, sie loten auch mal wieder Grenzen aus und die eine oder andere kann man wirklich ganz klar der Industrie als neuesten Appetitzügler andrehen. Jener vergeht einem da ganz gewaltig. Mit der Lee-Diät wären unglaubliche Umsätze zu machen. Blut, Gekröse, jegliche Körperflüssigkeiten und Körperöffnungen (inklusive einiger neuer) gehören zum widerwärtigen, von den Lesern geliebten Repertoire von Edward Lee. Und jede seiner Geschichten hat ein feines Finale, das Progagonisten und manchmal auch den Leser überrascht. Und zwischen den Zeilen versteckt der Autor auch seine Portion Humor (etwas, das Brett Williams z. B. nicht hinbekommen hat) und recht harsche Sozialkritik. Man muss sich schon fragen, wieso es in einem so reichen Land zu solchen Brutstätten der Gewalt kommen kann? Warum hier keine soziale Regelung und Unterstützung greift, so sie überhaupt angedacht ist? Kostet sie zuviel Geld? Geld, das man lieber "nutzbringend" für Wirtschaftsbosse und Waffen einsetzt? Aber auch die Frage, wie reiche Banker solch seltsame Gelüste entwickeln können? Langeweile? 

Auf jeden Fall ist eines sicher: Edward Lee maträtiert und foltert das, was überall als "guter Geschmack" doktriniert wird. Er fragt nicht, ob er das Schreiben darf, weil die Masse es als Unbothaft ablehnt. Er tut es einfach. Wobei das Wort Geschmack bei der einen oder anderen Story sicher auch einen "bitteren Beigeschmack" hervorufen würde, sag ich mal ganz frech. "Mr. Torso - und andere Extremitäten" ist alles das, was von dem Autor erwartet wird. Böse, schrill, blutig, eklig, grob und unappetitlich bis an die Grenze des Erträglichen. Aber kein Lee ohne Humor, man muss ihn nur zu schätzen wissen. Edward Lee bietet wahre Exzesse um Sex und Gewalt und wagt sich da weiter vor als andere Autoren. John Aysa könnte da mithalten, aber sonst keiner. Die neun Kurzgeschichten von Edward Lee bieten auf jeden Fall Abwechslung, konnten aber nicht den kleinen Wermutstropfen verhindern, den ich da jetzt eingieße: es nutzt sich mit der Zeit etwas ab. Vielleicht hätte ich mir die Lektüre besser auf drei oder vier Lesungen verteilt. Jedenfalls ist das Buch ganz sicher ein scheußlich-schrecklicher und gelungener Gegenentwurf zum gepflegt-humorigen Frauenkrimi, den die großen Verlage ja anscheinend neben den verfilmbaren Jugendtrilogien momentan derart schätzen, dass jeder, der nicht schnell genug flüchtet, seines Skriptes beraubt wird, um es zu veröffentlichen. Festa läuft den Trends halt nicht hinterher, Festa macht Trends. Und die Extrem-Reihe ist so einer. Lee-Fans kommen hier voll auf ihre Kosten und Lee-Gegner rühren das Dingen eh nicht an.

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