Freitag, 17. Juni 2016

Buchreview "Drifter" N. Petrie

Nicholas Petrie. Körperlich fit, intelligent und eigensinnig – mit Peter Ash sollte man sich nicht anlegen. Ash hat jedoch mit seinem eigenen Trauma zu kämpfen. Nur wenn er es überwindet, kann er eine Katastrophe verhindern, die Tausende Menschen in den Tod zu reißen droht.

Peter Ash ist fertig mit der Welt: Seit seiner Rückkehr aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan erleidet er Panikattacken, sobald er bloß einen Raum betritt. Das "weiße Rauschen", wie er es nennt, zwingt ihn, in der Wildnis zu bleiben und bei jedem Wetter unter freiem Himmel zu schlafen. Doch als ein Freund aus der Army Selbstmord begeht, spürt Ash, dass mehr hinter der Geschichte steckt, und wagt sich wieder unter Menschen. Er hilft der Witwe des Mannes, ihr baufälliges Haus zu renovieren. Unter der ramponierten Veranda entdeckt er mehr als nur morsches Holz: Hier bewacht ein verdammt großer und verdammt hässlicher Hund einen explosiven Fund – einen Koffer voller Geld und Sprengstoff. Der Koffer ist aber lediglich ein Puzzleteil in einem wahnsinnigen Anschlagsplan, der Tausende das Leben kosten soll. Ash bleibt nicht viel Zeit, um die Täter ausfindig zu machen. Und bei seinen eigenen Ermittlungen findet er Umstände vor, die er sich zuvor nicht hätte träumen lassen. Er wird verfolgt, engagiert sich für einen vermissten Veteranen und muss erkennen, dass in dieser Welt der Gier ein Menschenleben oder auch nur lebenswürdige Zustände nichts mehr zählen. Durch die Gesetzgeber noch unterstützt können raffgierige Zeitgenossen sich fast alles erlauben, ohne auch nur ansatzweise dafür belangt zu werden.

Nicholas Petrie hat hier seinen eigenen Jack Reacher zum Leben erweckt. Peter Ash ist ein traumatisierter Veteran, der zwar in geschlossenen und/oder engen Räumen gegen Panikattacken kämpfen muss, seit er aus Übersee und den dortigen Konflikten zurück ist, sich aber mehr oder weniger damit arrangiert hat. Er führt sein Einsiedlerleben in den Bergen und Wäldern der USA. Doch Menschlichkeit, Verantwortungsbewusstsein und Schuldgefühle sind ihm geblieben. Und das führt ihn direkt zu der Frau seines Kumpels Jimmy, der sich umgebracht hat, weil er mit den Folgen des Krieges nicht zurechtkam. Der Fund des Koffers bringt dann die Spannung ins sein Leben und das Buch. Und die Riesentöle Mingus dann auch - nach gewissen Anfangsschwierigkeiten - Humor. Und obwohl nicht dick aufgetragen und auf jeder zweiten Seite tränenrührig vermarktet, vermittelt Nicholas Petrie die Probleme, die Kriegsverteranen haben, wenn sie in die Heimat zurückkehren. Viele schaffen den Weg zurück ins Privatleben mit Arbeit und Familie, aber etliche bleiben alleine gelassen, haben keine Chance, sich wieder einzufügen. Die Unterstützung der Regierung wird immer weiter gekürzt. Viele sind obdachlos - und das aus mannigfaltigen Gründen. Dass Nicholas Petrie hier weniger erfunden hat, als man glauben mag, wurde mir durch einen Betroffenen bestätigt. So ist der spannende Thriller auch ein sozialkritisches Plädoyer für den verantwortungsvollen Umgang mit den Männern und Frauen, die für ihr Land in den Krieg gezogen sind. Und eine Anklage gegen die Gleichgültigkeit, die herrscht und die miesen Finanzjongleure, die mit ihren Praktiken die letzte Krise ausgelöst haben, massenweise Familien - auch die von Veteranen - ruinierten und auf die Straße trieben und dennoch nicht etwa bestraft wurden, sondern neben Boni im schlimmsten Fall noch immense Abfindungen kassierten. Die gierigen Hedgefondsmanager mit ihren Risikogeschäften, bei denen nur ihre Kunden verlieren konnten, nicht aber sie. All dies ist eingebettet in einen hochdramatischen Thriller, der auch einige Actionsequenzen aufblitzen lässt, aber insgesamt tatsächlich mehr an die Werke von Lee Child erinnert, denn an jene von Ben Coes, um, nur ein Beispiel zu nennen. Die sprachlichen Fähigkeiten des Autors sowie dessen flotter Stil machen aus "Drifter" einen hochunterhaltsamen Roman, der mit ernsten Themen ebenso wie mit reinen Unterhaltungselementen punkten kann - und Mingus, der Hund, ist eine Marke für sich. Ausgefeilte und superb skizzierte Figuren und Charaktere bringen viel Leben in die Geschichte und wenn Herr Baldacci hier mit lobenden Worten zitiert wird, darf man dem schon mal glauben, denn der Plot ergibt sich erst nach einiger Zeit, das Puzzle zusammenzusetzen dauert, doch dann werden die Handlungsstränge und Motive nach und nach miteinander verwoben. Und solange spekuliert man auch als Leser, was sich da denn nun abspielt, wer mit wem warum zusammenarbeitet. Klasse Suspense-Thriller aus der Feder eines neuen Autors, der hoffentlich noch weitere Bücher dieser Art schreiben wird. Möglichst MIT Peter und Mingus.

Keine Kommentare: