Donnerstag, 15. November 2018

Buchreview "Unersättlich" W. J. White

Wrath James White. Als sein Pateinten mehr Kalorien verbrennen, als sie zu sich nehmen können, ahnt Doktor Adams, dass er einen schrecklichen Fehler gemacht hat.

Ultrabrutaler Hungerhakenreport mit relevantem gesellschaftlichem Anspruch, der die Auswüchse von Formaten wie "Der nächstbeste Dürrrappel", von ständigen Schönheitsidealen in Magazinen und unzähligen Diätratschlägen anprangert. 
Mit seinem "Krank", das er zusammen mit Jesus F. Gonzalez verfasst hat, bewies Wrath James White ja schon einmal, dass er Sozialkritik in harten Horror passend einflechten kann. Und dass "Unersättlich" extrem starker Tobak ist, bekommt der Leser schnell serviert. Da knacken die Knorpel, bekommt "Katzenfutter" eine völlig neue Bedeutung und die Blutfontänen entwickeln sich rasant zu Blutbädern. Statt verfressene Fettsäcke anzuprangern, wie es ja schon seit einiger Zeit modern ist, wenn jemand vermeintlich zuviel Speck auf den Rippen hat, sind es hier die Mageryuppies, die sich eine solche Kur-Tortur leisten können, um auf die angeblichen Idealmaße zu kommen, die überall so angepriesen und nach einem BMI (Wer hat den eigentlich nach welchen Vorgaben für wen erstellt? Wer zahlt hat recht?) gemessen werden. Und dann kommt so ein Arzt daher, der ein Wundermittel hat. Ein weiteres mehr in der ganzen Palette der überall zu sehenden Diätratschläge, die es an jeder Ecke gibt. Und wer von den armen manipulierten Menschen da draußen, die sich an den Models, Schauspielern und Werbetreibenden orientieren, kann da schon NEIN sagen? Wieviele würden die Risiken überhaupt interessieren, vor denen meist eh nicht gewarnt wird? Kaum jemand. So auch in diesem Buch. Die Begüterten hecheln geradezu nach dem neuen Stoff ihrer Träume und es jucken sie weder Preis noch die Auswirkungen. Und schon hat man es mit einer Seuche von Fressorgie zu tun, die alles bisherige übertrumpft. Man bedenke, dass es hier keine stumpfsinningen lebenden Toten sind, sondern sogenannten denkende Wesen, die um ihrer Selbst Willen jeden zu Epfern bereit sind, der ihnen im Weg steht. Egoisten, die andere Personen mit in den Abgrund reißen. Und ganz in einer kleinen Nebensatzecke versteckt erinnert der Autor an HIV, das dereinst zu Beginn nur der homosexuellen Szene zugeschrieben wurde und denen es in der Meinung eines großen Teils der Öffentlichkeit recht geschah - bis es auch die Heteros traf. Dann wurde es sehr schnell ernst genommen und panisch nach Heilmitteln gesucht. Gar nicht so tief unter den Fleischbrocken und Knochen versteckt lauert die Kritik an der Methode mit den Ängsten der Menschen Geld zu machen. Wer nicht angepasst ist in Sachen Aussehen und Gewicht, wird schnell ausgegrenzt und als wertlos deklariert. Um dazuzugehören, muss man schlank und rank sein, nur das sichert ein erfülltes und glückliches Leben in Wohlstand und mit wunderbarer Familie und Freunden - die natürlich alle gleich aussehen. Ganze Industrien hängen daran, den Menschen vorzugaukeln, dass sie nur mager einen Wert für die Gesellschaft haben. Der TV-Markt mit seinen Shows, die inhaltlich so mager sind, wie man die Bevölkerung sehen will, die Pharmaindustrie mit ihren vielen Pillen, die abertausenden Anbieter der neuesten und "wirklich" wirksamen Diäten, die im Gegensatz zu Politikerdiäten nicht üppig machen, die Zeitschriften, die Ärzte, die Kliniken, die Schönheitschirurgen im Speziellen, ja selbst die Krankenkassen spielen das Spiel  mit. Letztere besonders um Kosten für Behandlungen einzusparen, die angeblich durch Übergewicht entstehen. Täglich neue Hiobsbotschaften, dass Übergewichtige mehr in die Kassen einzahlen sollen als die Mageren, die aber - was nie erwähnt wird - ständig Nahrungsergänzungsmittelchen erwerben müssen, weil ihnen die Proteine einer normalen Ernährung fehlen. Teure Mittelchen, für die die Krankenkassen nicht aufkommen. Selbstzahler erziehen mit Methode. So funktioniert das Geschäft mit der Angst, den jeder will beliebt und anerkannt sein, zur Gemeinschaft gehören. Und es blüht und gedeiht. Frag nach bei der Textilindustrie, die sich selbstverständlich den Trends anpasst und sie unterstützt. 
Mit seinen 155 Seiten ist "Unersättlich" ein schnell konsumierbarer Extrem-Roman, der es in sich hat. Mit grimmigem Humor nimmt Wrath James White die Gesellschaft aufs Korn, der die soziale Komponente schon längst abhanden gekommen ist. Ein weiterer Beweis, dass der Autor von dem Schund, den man ihm gerne unterzuschieben versucht, genauso weit entfernt ist wie die meisten Journalisten von der Wahrheit. Das Gedärm und Gemetzel ist nur oberflächlich eine simple Geschichte, denn unter diesem Unterhaltungsfaktor verbirgt sich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der heutigen Gesellschaft. Man erhält für seinen Obulus an den Festa-Verlag also beides - bluttriefenden Horror und eine kritische Stimme, die man nicht überhören sollte. Und dewegen gibt es 9/10.

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